Die FDP hat sich in den letzten Monaten immer wieder gerne mit teils heftiger Kritik an den deutschen Gewerkschaften hervorgetan. Nun hat die IG Metall mit dem in der Stahlindustrie durch massive Streikdrohung erzwungenen Abschluss nachträglich einen Beweis dafür geliefert, dass sichere Arbeitsplätze für die deutschen Gewerkschaften hinter kurzfristigen Erfolgsmeldungen zurückstehen müssen.
Schauen wir uns die Fakten an: Die Stahlindustrie hat es in den letzten Jahren geschickt verstanden, durch koordinierte Stilllegungen Kapazitäten abzubauen. Das ging nach dem Grundsatz 'Ertrag geht vor Menge'. Dabei bewegte man sich öfters hart an der Grenze des Kartellrechts. Die fortschreitende Konzentration führte letztlich dazu, dass der europäische Stahlmarkt heute von 3-4 Konzernen beherrscht wird, wo ehedem noch munterer, teils härtester Wettbewerb herrschte.
Im letzten Jahr kam nun die Gelegenheit, auf die man so lange gewartet hatte. China griff mit erheblichem Stahlhunger als Rohstoffkonkurrent in das Marktgefüge ein. Die Folge war eine Verknappung. Nun schlug die Stunde der 'Old Economy'. In einer geschickten, publizistisch hervorragend unterstützen Kampagne wurde Öffentlichkeit und Fachwelt klargemacht, dass Stahl künftig Mangelware sei. Preissteigerungen von teils 70 - 100% waren die Folge. Dabei entwickelten sich die tatsächlichen Rohstoffkosten aufgrund langfristiger Kontrakte gar nicht so sprunghaft. Aber es war legitim, Marktpreiserhöhungen zu begleiten. Die Folge waren hervorragende Unternehmensergebnisse, an denen die Belegschaft ihren gerechten Anteil fordern durfte. Die Metallgewerkschaft nutzte die Gunst der Stunde und verfiel in den ewig gleichen - und ewig falschen Reflex. Man fordere das Doppelte und verkaufe anschließend die Hälfte als einen Erfolg im Kampf um den gerechten Anteil an den Früchten der Arbeit.
Über die vereinbarten 3,5 % mehr Lohn wird sich der Stahlarbeiter freuen, verspricht ihm diese Erhöhung doch eine Teilhabe an den derzeit sprudelnden Gewinnen der Branche. Dabei werden jedoch zwei wichtige Aspekte völlig ausgeblendet. Zum einen verschweigen die Verhandlungspartner, dass eine faire Beteiligung deutlich höher, vielleicht sogar im Umfange von mehr als 10 % hätte ausfallen müssen. Zum anderen zementieren die Tarifpartner ein weiteres Mal ein erhöhtes Lohnniveau, welches in der Zukunft die Entscheidungsgrundlage sein wird, ob Arbeitsplätze in Deutschland bleiben oder abwandern.
Das Stahlgeschäft ist zyklisch, es war schon immer zyklisch. Schauen wir in die Zukunft, so wird in wenigen Jahren die Stahlwelt wieder anders aussehen. Neue Erzvorkommen werden erschlossen sein, neue Hütten gebaut und der Bedarf wird befriedigt sein, ein Gleichgewicht wird sich einstellen. Nun werden die Global Player zwei Möglichkeiten haben: Entweder geht weiterhin Marge vor Menge, dann müssen Kapazitäten stillgelegt oder in das billigere Ausland verlagert werden. Neue Hütten in Brasilien sind bereits in der Planung. Beides hat den Abbau von Arbeitsplätzen in Deutschland zur Folge. Oder, als zweite Möglichkeit schwanken Preise mit der Auslastung, die Werke in Europa passen ihre Kosten an die schwankende Nachfrage an. Diese Möglichkeit eröffnet sich allerdings nur dann, wenn auch Lohnkosten in gewissen Grenzen nach unten anpassbar wären. Sind sie aber nicht. Das hohe Niveau der heute getroffenen Vereinbarungen erzeugt den Zwang von morgen. So führt der heute gefundene Abschluss zwangsläufig zu den Arbeitslosen von morgen.
Man hätte geschickter vorgehen können. Ein Lohn, der zu 5, 10, oder 15% variabel wäre und gewinnabhängig gezahlt würde, sicherte nicht nur gerechte Teilhabe am übergroßen Erfolg von heute, sondern auch die Beibehaltung von Arbeitsplätzen in schlechten Zeiten. Die Rechnung wäre einfach. Normale Zeiten, normale Gewinne, normaler Lohn; verdoppelte Gewinne bedeuteten 10 % Erhöhung; Verluste brächten Einbußen von 10 %, aber Sicherheit des Arbeitsplatzes. Die Macht des Faktischen machte Verhandlungen in Krisenzeiten wohl nahezu überflüssig. In guten Zeiten wie den unseren käme dann auch mehr heraus als mickrige 3,5%.
Die Funktionäre der Gewerkschaften befürchten wohl, sie könnten sich entbehrlich machen. Eigentlich würden sie aber nur Verstand, Voraussicht und Verantwortung beweisen. Es bleibt zu hoffen, dass die Tarifpartner im Osten weiser sind. Die Metaller haben hier schon mal bewiesen, dass sie Freiheit statt Klassenkampf wollen. Der Maßstab sind 85.000 Arbeitsplätze im Westen. Wer richtig lag, wird die Arbeitslosenstatistik 2010 zeigen.
Dipl.-Ing. Lutz Recknagel
stv. Landesvorsitzender der FDP Thüringen