Zur gestrigen Ablehnung des Brexit-Austrittsabkommens im britischen Unterhaus erklärt der stellvertretende Landesvorsitzende der Freien Demokraten Thüringen Gerald Ullrich:
"Durch das kurzsichtige Votum des House of Commons gegen das über zwei Jahre hinweg verhandelte Austrittsabkommen ist nun ein ungeregeltes Ausscheiden Großbritanniens aus der EU am 29. März 2019 wahrscheinlicher denn je.
Im britischen Unterhaus gibt es derzeit keine Mehrheit für einen Verbleib in der EU, keine für das ausverhandelte Austrittsabkommen, keine für ein zweites Referendum, aber auch keine für einen ungeregelten Austritt. Fatalerweise tritt letzterer automatisch ein, falls sich keine Mehrheit für eine der anderen drei Optionen ergibt.
Die Lösungsfindung wird durch innerbritische Machtkämpfe behindert. Ich rufe die britischen Abgeordneten dazu auf, in dieser historischen Situation zuerst an das Wohl ihres Landes und des Kontinents zu denken und nicht an eventuelle kurzfristige politische Vorteile.
Für mich ihre Ablehnung der britischen Abgeordneten nicht nachvollziehbar. Das Austrittsabkommen hätte vieles von dem geliefert, was sie anstreben:
Das Austrittsabkommen würde die Bürgerrechte von den 100.000 in Deutschland lebenden Briten und den 300.000 in Großbritannien leben-den Deutschen schützen.
Das Austrittsabkommen würde gewährleisten, dass die Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland weiterhin unsichtbar bliebe. Dies ist eine zentrale Bestimmung des Karfreitagsabkommens, das den blutigen Nordirlandkonflikt 1998 beendete.
Das Austrittsabkommen würde eine Übergangsphase bis Ende 2020 beinhalten, die die polizeiliche Zusammenarbeit zwischen EU27 und Großbritannien fortführt. Ohne Vertrag gibt es kein Teilen von Ermittlungsergebnissen und keine Auslieferungen unter dem Europäischen Haftbefehl mehr.
Selbst Theresa May's Regierung geht davon aus, dass ein Austritt ohne Abkommen der britischen und kontinentaleuropäischen Wirtschaft schaden wird. Mit einem Volumen von 122 Mrd. Euro im Jahr 2017 ist das Vereinigte Königreich Deutschlands fünfwichtigster Handelspartner. Britische Unternehmen, die in Deutschland ansässig sind, beschäftigen hier ca. 240.000 Mitarbeiter. Im Gegenzug beschäftigen deutsche Unternehmen in Großbritannien ca. 400.000 Mitarbeiter. Diese sind auf reibungslosen Handel und Just-in-time-Produktion angewiesen. Ein Austritt ohne Abkommen würde aber zu Zöllen und Kosten, Grenzkontrollen und Staus führen.
Auch der Bundeshaushalt ist von einem Ausscheiden ohne Abkommen betroffen: Sollten sich die Briten dann weigern, ihren Anteil an den im laufendenen Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) der EU zwischen April 2019 und Dezember 2020 bereits fest eingeplanten Ausgaben zu über-nehmen, dann schätzt das Bruegel-Institut, dass der deutsche Beitrag zum Schließen dieser Lücke rechnerisch 4,1 Mrd. Euro betragen würde."