TLZ-Interview
Landesvorsitzender Uwe Barth, MdL
Landesvorsitzender Uwe Barth, MdL

Der Landes- und Fraktionsvorsitzende der Thüringer FDP, Uwe Barth, gab der "Thüringischen Landeszeitung" (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte Hartmut Kaczmarek.

Frage: Warum verweigert sich die FDP eigentlich ständig der Realität? Das jedenfalls wirft Ihnen die Ministerpräsidentin vor.

BARTH: Warum verweigert sie sich eigentlich immer ihren Aufgaben? Die Regierung schafft es nicht, einen Haushalt vorzulegen und setzt so sehenden Auges die Existenz vieler Projekte aufs Spiel. Die Sicherheitsarchitektur muss gründlich überprüft werden. Und die Regierung hat nichts Besseres zu tun, als über die FDP zu reden. Das ehrt uns, aber...

Frage: Lieberknecht hat gesagt, es gehe beim Thema Mindestlohn nicht um fünf Prozent FDP, sondern um 20 Prozent der Menschen.

BARTH: Eine Regierung ist aber für 100 Prozent der Menschen da. Sie sollte sich deshalb erst einmal um ihre elementaren Aufgaben kümmern.

Frage: Warum ist die FDP gegen den Mindestlohn?

BARTH: Wir halten den gesetzlichen, flächendeckenden Mindestlohn für falsch. Nicht nur wir lehnen ihn ab, sondern auch weite Teile der Wirtschaft und offenbar auch die CDU-Fraktion im Landtag. Auch für uns gilt der Grundsatz: Wer 40 Stunden in der Woche arbeitet, muss davon auch leben können. Wir streiten uns aber über den Weg dahin. Wir halten den gesetzlichen Mindestlohn für falsch.

Frage: Frau Lieberknecht sieht das anders.

BARTH: Aber sie steht damit auch gegen weite Teile ihrer Partei. Gegenwind gibt es beispielsweise aus Sachsen-Anhalt. Vielleicht sollte sich Frau Lieberknecht überlegen, ob sie in der falschen Partei ist. Die Ministerpräsidentin wirft doch hier mit Nebelkerzen, um von ihrem eigenen Versagen und der Unfähigkeit ihrer Regierung abzulenken.

Frage: Ist das Thema Mindestlohn auch eine Nebelkerze?

BARTH: Das Thema nicht, aber der Zeitpunkt. In dieser Woche hat das Kabinett die letzte Chance vertan, den Haushalt so rechtzeitig im Landtag einzubringen, dass er zum Beginn 2013 in Kraft treten kann. Stattdessen stellt sie das Thema Mindestlohn in den Mittelpunkt und knöpft sich die FDP vor.

Frage: Die FDP und die anderen Oppositionsparteien können doch mit der zerstrittenen Koalition eigentlich zufrieden sein.

BARTH: Das kommt darauf an, wie man seine Rolle definiert. Unter rein parteipolitischen Gesichtspunkten hätten Sie recht. Aber wir müssen doch um das Wohl des Landes besorgt sein. Die Unfähigkeit der Regierung, sich auf einen Haushalt zu einigen, schadet einfach dem Land.

Frage: Die CDU will offenbar mit einer vorläufigen Haushaltsführung die SPD und vor allem deren Klientel unter Druck setzen. Ist das eine kluge Strategie?

BARTH: Das muss die CDU entscheiden.

Frage: Nützt sie dem Land?

BARTH: Nein. Thüringen wird zwar Geld sparen. Das mag den Finanzminister freuen. Aber es wird ja an den freiwilligen Aufgaben gespart. Die freien Träger werden kein Geld erhalten. Sie haben keine Planungssicherheit.

Frage: Ist das eine Bankrotterklärung für die Regierung?

BARTH: Für eine Bankrotterklärung ist es noch zu früh. CDU und SPD müssen ja noch zwei Jahre regieren. Beide Seiten haben sich in dieser Frage einfach verrannt und die Folgen ihres eigenen Tuns nicht überschaut. Aber sie haben keinen Plan, um einen Ausweg zu finden. Am interessantesten finde ich übrigens das donnernde Schweigen von Herrn Machnig zu dem Thema.

Frage: Wie lange kann sich das Land diese Hängepartie leisten?

BARTH: Eine Regierung sollte sich so etwas grundsätzlich nicht leisten.

Frage: Aber es hat schon vorläufige Haushaltsführungen gegeben.

BARTH: Sicher. Sie sind nicht der Untergang des Landes. Aber freie Träger werden mit ihren Projekten in Existenzschwierigkeiten kommen.

Frage: CDU und SPD kommen sich in Berlin und Erfurt näher - in Sachen Mindestlohn und Renten. Die FDP macht Opposition. Sind das Vorzeichen für eine große Koalition?

BARTH: Das glaube ich nicht. Große Koalitionen dürfen nicht zum Standard werden. Denn sie bringen keine wirklichen Richtungsentscheidungen. Das sehen Sie doch in Thüringen. Jeder bekommt seine Spielwiese und darf etwas machen. Strukturelles Sparen ist in dieser Koalition ebenso wenig möglich wie eine klare Ausrichtung in der Bildungspolitik.

Frage: Was stört Sie als Liberalen an der Thüringer Politik derzeit am meisten?

BARTH: Die größten Fehlsteuerungen finden beim Haushalt und in der Bildungspolitik statt.

Frage: Sie sparen den Wirtschaftsminister aus?

BARTH: Die Gutachteritis und das falsche Verständnis von Wirtschaftspolitik seinerseits ärgern mich zwar. Das ist in seinen Auswirkungen alles nicht so bedeutsam wie andere Dinge.

Frage: Beispielsweise?

BARTH: Die Noten in den Schulen abzuschaffen, das Sitzenbleiben abzuschaffen, in der Haushaltspolitik nicht mit dem Schuldenabbau anzufangen in einer Zeit, in der wir hohe Steuereinnahmen verzeichnen. Ansonsten finde ich, dass die Ministerpräsidentin an der ein oder anderen Stelle das Maß verliert.

Frage: Sie meinen den Mindestlohn?

BARTH: Nein. Das muss sie mit ihrer eigenen Partei ausmachen.

Frage: Sondern?

BARTH: Sie hat vor kurzem in einem Interview gesagt, die FDP sei eine Partei, die sich noch nie um das Wohl der Thüringer geschert hätte. Ich halte es für schlimm, wie sie an dieser Stelle mit dem Engagement von Bürgern für ihr Land umgeht. Dabei müsste sie es eigentlich besser wissen.

Frage: Fühlen Sie sich persönlich getroffen?

BARTH: Ich kann damit leben. Aber die FDP ist ebensowenig wie die CDU eine abstrakte gesichtslose Masse. Sie besteht aus Menschen, die sich für das Land engagieren, die auf den verschiedensten Ebenen Verantwortung übernehmen. Eine solche Äußerung ist einer Ministerpräsidentin einfach unwürdig. Ich kann nur sagen: Frau Lieberknecht arbeitet sich an den Falschen ab. Und sie überschätzt unsere Rolle, wenn sie alles, was in diesem Land schief läuft, der FDP anlastet. Diese Einschätzung ist wirklich neben der Realität.

Frage: Behindern derartige Äußerungen ein Bündnis nach 2014?

BARTH: Wir wollen doch kein Bündnis mit Frau Lieberknecht eingehen.

Frage: Sondern?

BARTH: Die FDP will 2014 mit einem guten Ergebnis in den Landtag. Ich glaube, wir machen hier in Thüringen eine gute Arbeit. Deshalb bin ich optimistisch. Wenn die rechnerische Möglichkeit sich ergibt, will die FDP mit einem bürgerlichen Bündnis regieren.

Frage: Mit Frau Lieberknecht an der Spitze?

BARTH: Das muss die CDU entscheiden.

Frage: Für einen Wahlerfolg braucht man bundespolitischen Rückenwind. Damit sieht es derzeit mau aus.

BARTH: Bis 2014 haben wir noch zwei Jahre Zeit. Unabhängig davon müssen wir hier in Thüringen unsere Aufgaben erledigen.

Frage: Aber derzeit knabbert die FDP gerade mal an der Fünf-Prozent-Hürde bundesweit.

BARTH: Das wissen wir. Aber klar ist doch auch: Die tatsächlichen Ergebnisse, die die schwarz-gelbe Bundesregierung erreicht hat, sind besser als sie in der Öffentlichkeit dargestellt werden. Ein Beispiel: Die Bundesregierung hat die Bildungsausgaben 2012 um 12 Milliarden erhöht - anders, als es Herr Matschie jetzt darstellt. Die Wirtschaft in Deutschland boomt - die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Frage: Aber die FDP hat nichts davon.

BARTH: Es ist unsere Aufgabe, den Anteil der FDP daran den Menschen klar zu machen.

Frage: Wer hat die größten Chancen, die FDP als Spitzenkandidat in den Bundestagswahlkampf zu führen?

BARTH: Eine gute Frage. Es ist nicht klug, so weit vor der Wahl darüber zu spekulieren.

Frage: Der Parteivorsitzende?

BARTH: Der Vorsitzende hat immer den ersten Zugriff.

Frage: Wie lange kann sich Philipp Rösler noch im Amt halten?

BARTH: Mir ist nicht bekannt, dass ein Wahlparteitag ansteht.

Frage: Aber es steht eine Wahl in Niedersachsen bevor.

BARTH: Da geht es aber nicht um seine Funktion als Parteivorsitzender. Und er kandidiert dort auch nicht.

Frage: Was hat Sie bewogen, Guido Westerwelle zum Parteitag einzuladen?

BARTH: Ich bekenne mich als Fan von Guido Westerwelle. Er ist jemand, der den Job, den er hat, wirklich ernst nimmt. Er hat die FDP 2009 zu einem historischen Erfolg geführt. Auch daran darf man sich ruhig mal erinnern, gerade in einer schwierigen Zeit. Die Thüringer FDP hat ihm ihren Erfolg bei der Landtagswahl 2009 auch mitzuverdanken. Und drittens: Wir hatten ihn im letzten Jahr bereits eingeladen. Das war gerade die Zeit, als es zu der Neubesetzung an der Bundesspitze kam.

Frage: Kann Westerwelle die Partei mobilisieren?

BARTH: Ja. Er strahlt Zuversicht aus, er kann die Seele der Partei erreichen und Aufbruchstimmung erzeugen.

Frage: Wie stark braucht die Partei derzeit eine solche Seelenmassage?

BARTH: Die braucht eine Partei immer.

Frage: Wie lange kann sich die FDP eigentlich noch diese quälend lange Führungsdiskussion leisten?

BARTH: Führungsdiskussionen sind nie gut. Entscheidend ist aber, dass die Partei nicht anfängt, irgendwelchen Chimären hinterherzulaufen.

Frage: Was meinen Sie?

BARTH: Am Beispiel von Guido Westerwelle kann man doch auch sehen: Ein einfacher Personalwechsel ändert im Grunde genommen an einer Situation nichts.

Frage: Wie gut hat der Landesvorsitzende in Thüringen die Partei im Griff?

BARTH: Falsche Frage, Euer Ehren. Ich habe meine Partei nie im Griff.

Frage: Interessantes Eingeständnis.

BARTH: Was ich meine: Wir gehen in großer Gemeinsamkeit einen Weg und ich gehe ihn nur an der Spitze. Liberale lassen sich nicht gerne in den Griff kriegen. Wir leisten in Thüringen gute Arbeit. Es bringt uns und der Öffentlichkeit nichts, wenn wir uns mit uns selbst beschäftigen. Die Sacharbeit zählt. Wir wollen das Land voranbringen.

15.09.2012 Pressestelle