Zum morgigen Reformationstag erklärt der Berichterstatter der FDP-Bundestagsfraktion für die Lutherdekade, Patrick Kurth:
Mit Blick auf den bevorstehenden Reformationstag müssen wir die Lutherdekade nutzen, um eine neuerliche Gesellschafts- und Wertediskussion anzustoßen. Das Reformationsjubiläum kann für die Debatte über die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft und das Verhältnis von Staat und Bürger genutzt werden. Gerade die dramatischen Wochen, die in Sachen Euro-Krise hinter uns liegen, zeigen, dass wir Anspruchshaltungen gegen den Staat kritisch diskutieren sollten. Die Verunsicherung der Menschen zeigen sich auf vielfältige Weise: Occupy-Bewegung, Ausweitung staatlicher Erfüllungsansprüche oder der Erfolg unseriöser Parteien - wir müssen diese Entwicklungen ernst nehmen.
Historisch steht die Reformation für eine fundamentale Änderung des Eigenverständnisses der Menschen: Der Mensch überträgt seine persönliche Haftung eben nicht an höhere Mächte oder Institutionen, sondern wird sich seiner eigenen Freiheit und Verantwortung bewusst. Das ist ein gewichtiger Schritt für die gesellschaftliche Entwicklung vom Untertanen zum Bürger. Am persönlichem Glück oder Unglück hat jeder selbst eine großen Anteil. In einer Welt, in der die Ursachen für Probleme zunehmend in übergeordneten Ebenen, wie internationale Märkte, Finanzhandel oder Rohstoffbörsen, abgeschoben werden, ist der Diskurs über die individuelle Verantwortung in einer Gesellschaft und die persönliche Haftung notwendig. Der freiheitliche Staat und seine Grundlagen wie Toleranz, Demokratie und Gewaltenteilung, braucht aufgeklärte Bürger. Es lohnt sich, zu debattieren, ob und wie die Gewissensentscheidung des Einzelnen, wozu die Eigenverantwortung gehört, wieder gestärkt werden kann.
Die Reformation ist deshalb keine rein kirchliche Angelegenheit und auch nicht nur in der Zuständigkeit der evangelischen Christen. So wie sie historisch die Gesellschaft und auch katholische Kirche veränderte, sollte auch heute die Chance genutzt werden, nicht nur innerhalb der protestantischen Kirche zu diskutieren. Die gesellschaftliche Entwicklung geht uns alle an. Dabei könnten gerade die jüngsten fundamentalen Ereignisse in der Euro-Zone als Schlüsselerlebnis für ein Umdenken gelten: Wie hoch können wir Staatsverschuldung akzeptieren, wie viel wollen wir dem Staat als Regulierer und Entscheider zutrauen, was kann der Staat leisten und wie teuer darf dies sein? Gerade die Schuldenkrise zeigte: Die Verantwortung für eine Finanzkrise kann eben nicht so ohne weiteres Spekulanten und Finanzspielern übertragen werden. Nein, es sind Staaten, die durch massive Ausgaben den Euro an die Wand drückten. Dabei sind diese Staatsausgaben vor allem Ergebnisse der Erwartungshaltungen ihrer Bürger. Deutschland und Europa sollten jetzt die große Chance nutzen, um mit dem Schlüsselergebnis Euro-Krise und zeitgleich zum Reformationsjubiläum einen neuzeitlichen Diskurs über die Grundlagen unseres Zusammenlebens, unsere Anspruchshaltung an den Staat und unserem Verhältnis zwischen persönlicher Haftung und übertragener Verantwortung an die Gemeinschaft zu führen.