Wie die Thüringer Liberalen ihre Spitzenkandidaten für die Wahlen in Bund und Land küren
Die FDP schiebt sich zu Nikolaus einen besinnlichen Parteitag in die Schuhe: ohne Querelen nominieren die Liberalen ihre Kandidaten für das Superwahljahr 2009
• von Michael Wasner
Erfurt. Erst rieselt Sand, dann fällt die FDP. Sabine Frost ist gegen einen der schmalen Tische gestoßen, die hier im Konferenzraum etwas zu eng gereiht stehen. Die kleine Vase mit Deko-Sand, in dem ein blau-gelbes Parteifähnchen steckt, kippt und poltert zu Boden. Die 47-Jährige aus Rastenberg kriecht unter den Tisch ihres Kreisverbands Sömmerda und hebt das Fähnchen auf. Es ist nicht ihr Tag.
Dabei hätte es größere Patzer geben können. Während halb Thüringen an diesem sechsten Dezember in der Erfurter Innenstadt Weihnachtsgeschenke zu kaufen scheint, haben sich 140 Liberale in drei zusammengelegten Salons eines 4-Sterne-Hotels gezwängt. Sie wollen ihre Kandidaten für die Wahlen im nächsten Jahr bestimmen. Früher arteten solche Treffen in Selbstzerfleischung aus.
Seit 1994 sind die Liberalen nicht mehr im Landtag vertreten. Sie scheiterten stets an der Fünf-Prozent-Hürde. Umfragen sehen sie bei fünf und sechs Prozent. "Ich bin sicher, dass wir diesmal keine Zitterpartie erleben - höchstens darum, ob es ein Mandat mehr wird", sagt Parteichef Uwe Barth. Der 44-Jährige wird später mit 94 Prozent der Stimmen wie erwartet zum Spitzenkandidaten gekürt. Danach boxt er seine sechs Wunschkandidaten für eine künftige Landtagsfraktion durch.
Als das Ergebnis bekannt gegeben wird, steht der ganze Saal und klatscht. Im Hintergrund läuft bedeutungsschwanger "Wenn nicht jetzt, wann dann" - der Song der Kölner "Höhner", der zuletzt bei der Handball-WM hoch und runter gespielt wurde. Sabine Frost bringt da in der vorletzten Reihe gerade die Vase zum Kippen.
Auch der erwartete Dreikampf um Platz eins auf der Bundestagsliste bleibt aus. Intern hatte Uwe Barth nie einen Hehl daraus gemacht, seinen Generalsekretär Patrick Kurth (32) als Spitzenkandidaten für den Bundestag antreten lassen zu wollen. Dann jedoch schoss ihm erst Jenas ehemaliger Oberbürgermeister Peter Röhlinger (69) dazwischen. Und schließlich meldete auch noch der Erfurter Vize-Kreis-Chef Stefan Feuerstein Ansprüche an, dem man mit Kurth alles andere als eine freundschaftliche Beziehung nachsagt. Als es Mitte November um den FDP-Direktkandidaten für den Wahlkreis Erfurt-Weimar ging, hatte er Kurth düpiert.
Um eine weiter Blamage zu vermeiden soll der Parteivorsitzende vergangen Donnerstag Peter Röhlinger angerufen haben. Das Ergebnis des Gesprächs: Kurz bevor es an diesem Samstag um die Bundestagsliste geht, steht Röhlinger auf und zieht seine Kandidatur für Platz eins zurück. Seine Begründung: Die Partei müsse an einem Strang ziehen. Wieder stehender Applaus; als auch Sabine Frost aufstehen will, bleibt sie an der gelben Papiertischdecke hängen.
Nach dem Rückzug Röhlinger wird Kurth mit 75 Prozent der Stimmen gewählt. Feuerstein gibt entnervt auf. Röhlinger belohnt man artig mit dem zweiten Listenplatz. Holt die FDP bei der Bundestagswahl 2009 mehr als acht Prozent, dann kann auch er nach Berlin wechseln.
Der Frau neben Sabine Frost ist inzwischen die Perlenkette gerissen. Das dritte Mal muss die 47-Jährige nun unter den Parteitagstisch. Die Perlen sind vor zum sichtlich frustrierten Stefan Feuerstein gerollt.