Jugendstrafverteidiger beklagt Justizpolitik der Landesregierung

Jena, 15.11.2002. Der Jenaer Rechtsanwalt Andreas Wiese (FDP) hat den Umgang der Landesregierung mit straffälligen Jugendlichen scharf angegriffen. „Die Art und Weise, wie Thüringen mit diesem akuten Problem umgeht, ist nicht begreiflich. Die Bekämpfung der Jugendkriminalität beginnt nicht erst dann, wenn Jugendliche oder Heranwachsende straffällig werden, sondern bereits weitaus früher. Die Motivation vieler jugendlicher Straftäter rührt meist aus einer entsprechenden Perspektivlosigkeit her und nicht aus niederträchtigen Gründen wie Habgier oder Brutalität. Eine Strafjustiz, wie sie in Thüringen Praxis ist, kann lediglich reagieren, nicht jedoch agieren.“, erklärte der Anwalt heute in Jena. Thüringen habe sich immer wieder durch harte Forderungen nach Verschärfungen des Strafrechts und der schnellen praktischen Umsetzung bundesweit einen Namen gemacht. Dabei habe die Landesregierung nicht erkannt, dass die Wurzeln der Jugendkriminalität nicht erst im Verurteilen von kriminell gewordenen Jugendlichen gesucht werden darf, sondern bereits bei ersten Anzeichen, so Wiese.

Auch die jüngsten Forderungen des Sozialministeriums, das eine Zusammenarbeit von Sozialarbeitern und Juristen gefordert hatte, würden kaum etwas ändern. Wiese begrüßt zwar die Einberufung eines Jugendgerichtstages, wundert sich aber über dessen Zusammensetzung: „Ich verstehe nicht, warum dieser Jugendgerichtstag ohne entsprechende Beteiligung der praktischen Juristen wie Richter und Jugendstrafverteidiger stattgefunden hat.“
Gleiches gelte für das sonstige Auftreten des Sozialministeriums. „Es ließ den ehemaligen Justizminister Andreas ‚Gnadenlos’ Birkmann seine ,harten Keulen’ schwingen. Es zuckte zu den Zuständen im Jugendknast Ichtershausen mit den Schultern. Es äußert sich nicht zur derzeitigen Diskussion um die Verschärfung des Jugendstrafrechts. Alles in Allem: Thüringen ist gegenüber dem Problem der Jugendkriminalität konzeptlos und betreibt Flickenschusterei.“

Auch bei die Landtagsopposition spart Wiese nicht mit Kritik. Diese verstünde es nicht, auf die tatsächlichen Probleme hinzuweisen und entsprechende Vorschläge zu unterbreiten. Im Gegenteil: „Laut Parlamentsdatenbank hat das Wort ‚Jugendkriminalität’ in diesem Jahr überhaupt kein Oppositionspolitiker im Plenum in den Mund genommen. Die Union hat es seit Anfang des Jahres immerhin sieben mal verwendet.“ Zusammen mit der FDP in Thüringen versucht Wiese schon seit geraumer Zeit, dieses Problem im Bewusstsein der Bürger zu schärfen und Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Solange man jedoch diese Konzepte der FDP Thüringen aus parteipolitischen Gründen ignoriert und weiterhin Flickschusterei betreiben möchte, wird sich an dem bestehenden Problem der Jugendkriminalität und auch an einer effektive Bekämpfung nichts ändern, meint Wiese pessimistisch.

Autor: Andreas Wiese, Patrick Kurth

Zur Person: Andreas Wiese ist Jugendstrafverteidiger. Angesichts des gegenwärtigen Falles in der JSA Ichtershausen hat er Bewertungen für den ‚Spiegel’ abgefasst. Wiese ist Leiter des FDP-Arbeitskreises ,Justiz’ in Thüringen


18.11.2002 Pressestelle