Gilt in dieser Republik der Artikel 3 (1) des Grundgesetzes, wonach alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, noch? Die Berichte in den Medien wecken täglich ernsthafte Zweifel daran. Vielleicht muss man sich aber zunächst fragen, ob unser Rechtssystem überhaupt noch jeden erfasst. Haben sich insgesamt vielleicht schon Strukturen gebildet, die einen rechtsfreien Raum für bestimmte Personengruppen schaffen oder aber die Vermutung erlauben, dass diese Gruppen über einen solchen verfügen? Ein solcher Zustand hätte mit einer freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung nicht das Geringste zu tun.
Mein Verständnis des Artikels 3 des Grundgesetzes beinhaltet, dass gesetzwidriges Verhalten ohne Ansehen der Person geahndet wird. Mit Blick auf die so genannte "Bankenkrise" scheinen gewisse Kräfte in unserem Land bewusst darauf zu verzichten, bestehende Gesetze anzuwenden.
Der Verzicht darauf, gegenüber den Vorständen und Aufsichtsräten der Landesbanken, die gesetzlichen Möglichkeiten, wie z.B. Haftung und Schadenersatz (geregelt in den entsprechenden Gesetzen) anzuwenden und statt dessen die Staatskasse heranzuziehen, war das Signal, das in Deutschland die Schleusen öffnete.
Bleiben wir jedoch bei der Betrachtung zur Gleichheit. Während jemand, der bei ebay Waren verkauft, die er gar nicht besitzt, sehr schnell als Betrüger entlarvt und strafrechtlich verfolgt wird, waren und sind die so genannten Leergeschäfte bisher staatlich geduldete Praxis im Finanzbereich. Erst jetzt gibt es Überlegungen diese zu verbieten.
Wer sich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen (Hochstapler, Heiratsschwindler, Trickbetrüger) das Geld anderer aneignet, ist kriminell. Er muss damit rechnen, dass er strafrechtlich belangt wird, wenn es herauskommt. Das erschwindelte Geld wird eingezogen.
Wieso also können Manager heute noch Vergütungen für ihren vormaligen Handel mit Wertpapieren erhalten, die heute von ihnen selbst für wertlos erklärt werden? Und wieso können sie diese Gelder behalten? Wieso stellt keiner die Frage, seit wann die Bilanzen eigentlich schon nicht mehr ein tatsächliches Bild der Lage des Unternehmens vermittelten und zumindest die auf diesen Bilanzerfolgen beruhenden Boni-Zahlungen als ungerechtfertigte Bereicherung anzusehen sind? Statt Strafanzeige zu erstatten, bittet ein Minister dieser Bundesregierung die Banker, auf Boni-Zahlungen in der derzeitigen Situation zu verzichten. Der moralische Zeigefinger statt Handschellen!
Ob die Finanzmarktkrise von den Banken noch forciert wurde, als sie erkannten, dass sie schnell ihre Verluste durch Steuergelder und Staatskredite sanieren konnten, gehört ebenso in den Bereich der Spekulationen wie die Annahme, dass Gesetze und Aufsichtsbehörden kriminelle Machenschaften hätten verhindern können. Nur ist die Wahrheitswahrscheinlichkeit im ersten Fall höher. Übrigens konnte man mit dem Wissen um steigende oder fallende Kurse der Bankaktien auch wieder richtig Geld verdienen. Ganz zu schweigen von den Zinsen für die steigende Staatsverschuldung.
Oder, wie Bertolt Brecht einmal formulierte:" Der Bankraub ist eine Initiative von Dilettanten. Wahre Profis gründen eine Bank."
Vielleicht gibt es für die Nachsicht, also die weitestgehend fehlende Bereitschaft, Anzeige zu erstatten, ja auch eine ganz einfache Erklärung: Man muss nur mal in den Geschäftsberichten der Betroffenen Institute nachsehen, wer dort in den Vorständen und wer in den Aufsichts- und Kontrollgremien sitzt.
Und noch einmal der Gleichheitsaspekt. "Emmely", die Kassiererin aus dem Berliner Supermarkt ist fristlos entlassen worden, weil sie Leergut - Bons im Gegenwert von € 1,30 unterschlagen haben soll. Die Kündigung sei zu Recht erfolgt, sagt das zuständige Gericht, denn das Vertrauensverhältnis sei nachhaltig zerstört. Sie hat keinerlei Anspruch auf Abfindungszahlungen. Oder ein weiteres Beispiel. Der ehrliche Hartz-IV Empfänger, der seinen Fund im Wert von ein paar Tausend Euro abgegeben hat, muss sich den Finderlohn als Einkommen oder "Vermögen" anrechnen lassen und erhält dementsprechend keine staatlichen Leistungen, solange das Vermögen "amtsstatistisch" zum Leben ausreicht. Auch das ist bestätigtes deutsches Recht.
Der Hartz-IV Bezieher und die Kassiererin haben wahrscheinlich die falschen Tätigkeiten ausgeübt. Bei Millionen- und Milliardenverlusten gibt es - aus Respekt vor den großen Zahlen? - in zu vielen Fällen keine Beeinträchtigung des Vertrauensverhältnisses. Trennt man sich doch von einem dieser "Top - Manager", wird der Abgang durch Fortzahlung der Bezüge, horrende Abfindungen und natürlich Weitergewähr der Pensionsansprüche abgefedert.
Einige der stillen Abgänger werden durch das geschaffene Beziehungsgeflecht bald wieder auftauchen, dann vielleicht als Vorstand einer Versicherung oder vielleicht als Regierungsberater oder aber auch nur im Aufsichtsrat eines Unternehmens oder einer anderen Bank. Diese Leute sind seltsamerweise selbst mit über 50 nicht schwer vermittelbar.
Ich glaube an die Notwendigkeit des Artikels 3 des Grundgesetzes. Ich will mich dafür einsetzen, dass die Politik für seine Einhaltung sorgt. Deshalb trete ich zur Bundestagswahl für die FDP an.
Andreas Klaschka
Bundestagsdirektkandidat der FDP im Wahlkreis 189