KURTH: Es geht um 2011, nicht um 1989
Zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Hamburg gegen den Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei im Deutschen Bundestag, Dr. Gregor Gysi, erklärt der Berichterstatter der FDP-Bundestagsfraktion für die Aufarbeitung des SED-Unrechts und Generalsekretär der FDP Thüringen, Patrick KURTH:
"Es geht im aktuellen Fall nicht um ein allgemeines Stasi-Überprüfungsverfahren. Ein solches hätte ja keine juristische Konsequenzen für Abgeordnete, auch wenn Stasi-Spitzelei nachgewiesen würde. Es geht aktuell um die Frage eines Verfahrens aus dem Jahr 2011, also von vor zwei Jahren und nicht von vor 30 Jahren.
Der Vorwurf, Gysi hätte bezüglich einer Stasi-Mitarbeit eine falsche eidesstattliche Aussage abgegeben, wirkt schwer. Insofern brennt die Linke derzeit ein wahres Ablenkungsfeuerwerk ab, und verdreht bewusst und wissentlich die Fakten.
Der Grund der derzeitigen Berichterstattung ist indes ein anderer und hat sehr ernsten Hintergrund: Es stellt sich die Frage, ob ein Medienbeitrag, der von der Pressefreiheit gedeckt ist, nicht veröffentlicht werden durfte, weil Herr Gysi dies mit einer eidesstattlichen Versicherung verhinderte. Herr Gysi hatte versichert, "zu keinem Zeitpunkt über Mandanten oder sonst jemanden wissentlich und willentlich an die Staatssicherheit berichtet" zu haben. Auf Grundlage dieser Versicherung durfte der Bericht nicht mehr gesendet werden. Ein früherer Richter erstattete nun Anzeige, weil er in der eidesstattlichen Versicherung einen Widerspruch zu aufgetauchten Stasi-Akten sieht, in denen Gespräche zwischen der Stasi und Herrn Gysi vermerkt sind. Sollte die eidesstattliche Versicherung nicht richtig sein, hätte der Rechtsstaat somit aufgrund einer falschen Grundlage die Veröffentlichung untersagt. Dies geht freilich nicht. Das hätte nicht nur persönlich strafrechtliche Relevanz, sondern ist auch von gesellschaftlicher Brisanz, weil immerhin die grundgesetzlich garantierte Pressefreiheit eingeschränkt wurde.
Für gewöhnlich prüft die Staatsanwaltschaft einen solch gewichtigen Vorgang sehr genau, bevor sie ein Ermittlungsverfahren einleitet und dazu die Aufhebung der Immunität beantragt. Demnach wirft Gysis Versicherung in der Tat Fragen auf. Die Stasi war laut DDR-Strafprozessordnung offizielles Untersuchungsorgan. Wie konnte es ein Verteidiger unter diesen Umständen möglich machen, "zu keinem Zeitpunkt über Mandanten oder sonst jemanden wissentlich und willentlich an die Staatssicherheit berichtet" zu haben? Wie konnte Herr Gysi in Anbetracht seiner gegenwärtigen Versicherung das Stasi-Gefängnis Lichtenberg betreten, um Mandanten zu besuchen? Seine eidesstattlichen Versicherung lässt kaum Interpretationsspielraum.
Der Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, verwies darauf, dass es über Gysis Mandanten-Besuche im Stasi-Gefängnis Berlin-Lichtenberg verschiedene Aktenvermerke gebe. So etwa im Fall des Malers Erwin Klingenstein und des Dissidenten Rudolf Bahro. Nach diesen Akten wird sehr deutlich, dass Gysi zumindest den diensthabenden Mitarbeitern des Staatssicherheitsdienstes über seine Mandanten-Gespräche berichtete. Diese Vermerke zitiert Knabe in seinem Buch "Die Wahrheit über die Linke", ohne dass Gysi dagegen vorging.
Der Sachverhalt ähnelt sehr dem Fall des ehemaligen ARD-Sportkoordinators Hagen Boßdorf. Auch hier hat die Hamburger Staatsanwaltschaft wegen eidesstattlicher Falschaussage nach immerhin zweijährigen Ermittlungen Anklage erhoben. Erst fast ein Jahr später kam es zum Hauptverfahren. Wenn sich dies bei Herrn Gysi wiederholen würde, bedeutet dies aus meiner Sicht auch, dass er als Fraktionsvorsitzender auch für den Deutschen Bundestag zur Belastung wird."