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Marktwirtschaft

Der stellvertretende FDP-Sprecher ADIB SISANI teilt mit:
Berlin. FDP-Generalsekretär CHRISTIAN LINDNER und der Bundesumweltminister
DR. NORBERT RÖTTGEN schrieben für die "Süddeutsche Zeitung" (Freitag-Ausgabe) den folgenden Gastbeitrag:

Ordnung schaffen - für eine Soziale Marktwirtschaft mit Zukunftsverantwortung

Deutschland steht vor enormen Herausforderungen, die Ordnung verlangen. Wir brauchen erstens Wachstum, wenn wir den demographischen Wandel und die globale Arbeitsteilung ohne Wohlstandsverluste bewältigen wollen. Wachstum setzt Freiheit voraus, weil nur die marktwirtschaftliche Wettbewerbsordnung Initiative belohnt und das in der Gesellschaft dezentral vorhandene Wissen mobilisiert. Zweitens kann sich diese Freiheit aber gegen ihre eigenen ökonomischen und ökologischen Grundlagen wenden, wenn sie von der Übernahme von Verantwortung für nachhaltige Entwicklungen entbunden wird - das bezeugen die krisenhaften Exzesse der jüngsten Vergangenheit. Die Beschleunigung und die Globalisierung der Marktprozesse sowie der von ihnen ausgehende Produktivitätsdruck erhöhen zugleich drittens die individuellen Anforderungen an Qualifikation und Flexibilität - der Preis politischer Untätigkeit wären in Deutschland bislang unbekannte soziale Unsicherheit und Ungleichheit.

Die Antwort auf diese Herausforderungen ist die Soziale Marktwirtschaft. Sie hat allerdings - als Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell - an Strahlkraft verloren. Nicht wenige ziehen mehr staatliche Steuerung vor, obwohl längst eine Neudefinition der Staatsaufgaben nötig ist. Worin ist dieses Vertrauensdefizit begründet? Der Ordnung der Freiheit wohnt "ein der Ausgestaltung harrender, progressiver Stilgedanke" (Alfred Müller-Armack) inne. Tatsächlich wurden die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft aber einerseits nicht konsequent eingehalten und andererseits angesichts neuer Rahmenbedingungen zu lange nicht weiterentwickelt. Wir sind überzeugt: Die Soziale Marktwirtschaft zu erneuern, das ist der Gestaltungsauftrag der christlich-liberalen Koalition.

Die Soziale Marktwirtschaft "in die neue Zeit zu setzen" heißt, ihre gesellschaftliche Friedensidee als ihre eigentliche kulturelle Errungenschaft wieder in den Mittelpunkt zu stellen. Es ist die Verbindung von Fortschritt und sozialem Ausgleich, von Teilhabe und Leistungsgerechtigkeit, die wir anstreben. Wir öffnen neue Spielräume für individuelle Kreativität, indem wir privates Engagement und Staatstätigkeit durch bürokratisches und fiskalisches Augenmaß wieder in eine neue Balance bringen. Unsere Freiheit muss sich an der Freiheit nachfolgender Generationen und an der Freiheit der Menschen an anderen Orten unserer Welt messen lassen. Wir streben diese ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit aber nicht gegen den Markt an, sondern indem wir die Dynamik seiner Wettbewerbsordnung in ihren Dienst stellen. Wir schaffen neue Sicherheit und faire Teilhabechancen über eine Kultur der Neugier und über ein vernetztes Bildungswesen, das keine Sackgassen kennt und niemanden zurücklä sst. Drei Beispiele, wofür die christlich-liberale Koalition einstehen sollte:

Leistungsfähige Finanzmärkte schaffen Wachstum, weil sie beispielsweise Kapital für Innovationen auch in frühen Entwicklungsphasen bereitstellen. Sie halten zur effizienten Mittelverwendung an. Und mit neuen Finanzinstrumenten sichern sich auf den Weltmärkten agierende Unternehmen gegen Währungs- und Rohstoffrisiken ab. Von dieser dienenden Funktion für die sogenannte Realwirtschaft haben sich die Finanzmärkte abgekoppelt. Die Finanzmarktkrise hat die Ordnungsbedürftigkeit des Finanzmarktes aufgezeigt.

Vieles, was wir vor und während der Krise gesehen haben, widerspricht dem Geist und den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft: Ethische Maßstäbe waren verkümmert, Denken häufig auf Quartalsberichte verkürzt, Grundsätze der Haftung wurden klein geschrieben - Akteure, die von hohen Renditen profitiert haben, haben Risiken auf die Gemeinschaft abgewälzt. Die Folgen treffen so in vielen Fällen gerade diejenigen, denen kein Fehlverhalten vorzuwerfen ist. So werden Vermögenswerte und Vertrauen gleichermaßen vernichtet.

Für unsere Antwort auf die Finanzmarktkrise müssen Transparenz, Verantwortlichkeit und realwirtschaftlicher Nutzen maßgeblich sein. Durch falsche Regelsetzung konnten Freiheit und Verantwortung, Risiko und Haftung zu lange getrennt werden. Auch auf den Finanzmärkten gilt aber der Grundsatz: Eigentum verpflichtet. Das magische Dreieck von Rendite - Risiko - Sicherheit muss um Nachhaltigkeit erweitert werden.

Bei der Regulierung der Finanzmärkte werden wir um eine internationale Kooperation ringen. Wenn die "best option" einer internationalen Lösung ausscheidet, kann das Ergebnis jedoch nicht nationale und europäische Untätigkeit sein. Dann muss Kontinentaleuropa im Wettbewerb um die beste Ordnung gegebenenfalls einen Schritt vorangehen. Die Koalition hat mit der Neuordnung der Finanzaufsicht unter dem Dach der unabhängigen Bundesbank und mit einem durch eine Sonderabgabe finanzierten Instrument der Krisenintervention bereits ordnende Konsequenzen gezogen. Als zusätzliche Bremse für Renditen, Risiken und Boni können verschärfte Eigenkapitalvorschriften oder der verbindliche Selbstbehalt von Finanzprodukten in der Bilanz der Emittenten wirken. Zudem wollen wir zwischen Klein- bzw. Privatanlegern und der Finanzbranche "Waffengleichheit": Ein Fortschritt im Verbraucherschutz könnte eine intuitiv für jeden erkennbare Risikoklassifizierung von Anlageprodukten sein - vielleicht in Anleh nung an Ampelsignale.

Die Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft schließt die Schonung der natürlichen Lebensgrundlagen mit ein. Sie ist nicht nur eine Frage der Bewahrung der Schöpfung. Auch die ökologisch-ökonomischen Kosten (drohende Umweltrisiken) und die ökonomisch-ökologischen Chancen (Absatz deutscher Technologie) werden noch unterschätzt. Wir arbeiten deshalb an einer Antwort auf die ökologischen Herausforderungen. Wenn Umweltgüter keinen Preis haben, können Märkte nicht effizient funktionieren. Dann wird - häufig auf der Grundlage von externen Effekten - zwischen Generationen und Regionen umverteilt. An die Prozesspolitik in der Finanz- und Wirtschaftskrise wollen wir deshalb nun eine ökologisch gestaltende Ordnungspolitik anschließen, die Umweltschutz und Ressourcenschonung zum wirtschaftlichen Eigeninteresse von Unternehmen und Bürgern macht. Sie orientiert sich am Verursacher- und Vorsorgeprinzip, das heißt, sie beseitigt externe Effekte, berücksichtigt ökologische Risiken und bereite t die Volkswirtschaft beispielsweise auf künftige Knappheiten vor. Marktkonforme Instrumente und umweltpolitische Zielvorgaben treten dafür an die Stelle von gut gemeinter ökologischer Detailsteuerung, um den Wettbewerb als Innovationstreiber, Kostensenker und Entdeckungsverfahren für neue Technologien zu nutzen. Der bislang zu oft nur quantitativ verstandene Wachstumsbegriff erhält so auch eine qualitative Dimension. Dieser "aufgeklärte" Wachstumsbegriff ist ein Standortvorteil im internationalen Wettbewerb.

Der Bundespräsident hat recht: Die Nation, die sich am schnellsten und am intelligentesten auf die ökologischen Herausforderungen einstellt, wird Arbeitsplätze und Wohlstand schaffen - gerade deswegen dürfen wir jetzt mit unseren Klimazielen nicht zurückstecken. Deutschland steht in einem Modernisierungswettbewerb mit anderen Volkswirtschaften, der die Weltmarktstellung bei den schnell wachsenden Umwelttechnologien, aber auch die Erneuerung der Gesamtwirtschaft umfasst. CO2-Emissionen, Rohstoffverknappung und Energiepreise werden mehr und mehr Kosten- und Risikofaktoren. Eine marktwirtschaftliche Ökologie kann Wettbewerbsfähigkeit steigern, indem sie neue Wachstumsmärkte erschließt, unternehmerische Innovationsfähigkeit steigert und die strategisch bedeutsame Energie-/Materialeffizienz in den Unternehmen erhöhen hilft. Zukunftsgerechtes Wachstum ist notwendig, wenn Deutschland einen selbstragenden Aufschwung erreichen und finanzpolitischen Handlungsspielraum zurückgewinnen wi ll.

Legitimität und Attraktivität der Sozialen Marktwirtschaft waren immer mit ihrem Aufstiegsversprechen verbunden ("dass Leistung sich lohnt"). Dieses Versprechen muss erneuert werden. Für die Gegenwart müssen wir dazu unseren Sozialstaat weiterentwickeln. Aktivierung und Qualifizierung sind die bessere Alternative zu dauerhafter Alimentierung. Wer sich mit Fleiß über kleine Jobs in den ersten Arbeitsmarkt herausarbeiten will, der verdient Respekt und Anerkennung auch in Form staatlicher Zuschüsse. Für diese Menschen darf der Niedriglohnsektor nicht verriegelt werden.

Für die Zukunft brauchen wir einen Paradigmenwechsel: Fast ein Drittel der gesamtwirtschaftlichen Leistung wenden wir für staatliche Sozialleistungen auf. Für Bildung sind es nur sechs Prozent. Für mehr Teilhabechancen und mit Blick auf die Rendite von Bildungsinvestitionen müssen wir unsere Anstrengungen erhöhen. Die Koalition will die Bildungsausgaben bis zum Ende der Legislaturperiode auf ein Zehntel des Bruttoinlandsprodukts erhöhen. Auch private Investitionen in Bildung müssen wir freisetzen: Jedes neu geborene Kind erhält ein Bildungskonto mit einem Startguthaben von 150 Euro, auf dem jede weitere Einzahlung für Bildung und Weiterbildung vom Staat gefördert wird. Im Schulterschluss mit Wirtschaft und Gesellschaft wird die Koalition ein nationales Stipendienprogramm für die zehn Prozent der besten Studierenden realisieren.

Wo die Eltern ihren Kindern das Rüstzeug für das spätere Leben nicht mitgeben können, brauchen wir Kindertageseinrichtungen, die sich als Familienzentren intensiv nicht nur um die Kinder, sondern auch um die Eltern bemühen. Deutschland braucht eine Strategie, mit der wir die Potenziale der Schulen und Hochschulen, der Sozialverbände und Einrichtungen, der Familien und Kommunen, der Arbeitsagenturen und der Arbeitgeber bündeln, um am Ende dieses Jahrzehnts das beste Bildungs- und Weiterbildungssystem der Welt zu haben. Mit weniger dürfen wir uns nicht zufrieden geben.

CDU, CSU und FDP sind die Parteien der Soziale Marktwirtschaft. In der Gründerzeit unserer Republik haben wir für diese Ordnung der Freiheit gestritten. Heute stehen wir in der Verantwortung, sie für die Gestaltung der Zukunft zu erneuern. Zugleich ist klar: Viele Herausforderungen - von der Finanzmarktregulierung, über den Klimawandel bis Wahrung des Rechts in elektronischen Medien - können die Nationalstaaten nicht mehr alleine bewältigen. Notwendig ist eine stärkere politische Koordination und Kooperation auf europäischer und internationaler Ebene. Gleichzeitig gibt es einen Wettstreit der Ordnungsideen. In diesem Wettstreit können wir auf die Kraft der Sozialen Marktwirtschaft vertrauen. Sie wird gerade dann überzeugen, wenn wir ihre Prinzipien in die neue Zeit setzen.