FDP Greiz- Die Liberalen online im Raum GRZ, ZR

Kreisverband Greiz

close× Telefon: 036622/59035 Fax: ---
 
Guido Westerwelle
Guido Westerwelle

WESTERWELLE-Interview für das Magazin "Berenberg" (12.05.2009)
Berlin. Der FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab dem Magazin "Berenberg" (aktuelle Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten DR. WERNER FUNK und HANS-PETER SCHÜTZ:

Frage: Herr Westerwelle, über Sie ist unlängst eine erste - von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier liebevoll vorgestellte - Biografie erschienen. Darin heißt es sinngemäß, Ihre Versagensängste seien die wichtigsten Motive für Ihr Bemühen um äußerste Professionalität. Richtig gesehen?
WESTERWELLE: Ob der Autor Majid Sattar dies in seinem Buch wirklich so behauptet, lassen wir einmal dahingestellt. Richtig ist, dass ich viele Erfolge erlebt habe, aber auch bittere Niederlagen. Wie könnte es in einem Leben in der Politik, das ja nun doch schon 15 Jahre andauert, auch anders sein? Und richtig ist auch, dass ich mich um Professionalität nicht nur bemühe, sondern dass ich sie für entscheidend halte. Toleranz gegenüber eigenen Fehlern ist jedenfalls ganz sicher nicht meine Stärke.

Frage: Erkennbar bei dieser Präsentation war Ihr herzliches Verhältnis zu Steinmeier. Können Sie sich vorstellen, als Minister unter einem Kanzler Steinmeier zu dienen?
WESTERWELLE: Sie glauben gar nicht, was ich mir alles vorstellen kann - ich will es aber nicht. Die Frage danach, was man sich vorstellen könne, ist so ähnlich wie die Frage, ob man etwas ausschließe. Also: Erstens habe ich zu Herrn Steinmeier kein herzliches Verhältnis, sondern ein angenehmes und professionelles. Zweitens gibt es für das, was Herr Steinmeier anstrebt, nämlich eine sogenannte Ampel, nach Lage der Dinge keine ausreichende inhaltliche Basis. Wir wollen stabile Verhältnisse mit einer klaren bürgerlichen Mehrheit, und genau das werden wir vor der Bundestagswahl in einer Koalitionsaussage für alle Bürger deutlich machen. Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich in den erfolgreichen schwarz-gelben Landesregierungen in den fünf größten Bundesländern eine Blaupause auch für den Bund sehe. Richtig ist, dass wir die Sozialdemokratisierung der Union kritisieren. Aber nur, weil die Union hässlicher wird, werden SPD und Grüne doch nicht hübscher.
Frage: Immerhin war Steinmeier unter Kanzler Schröder - siehe sein Beitrag zur Agenda 2010 - ein eher reformfreudiger, wirtschaftsliberaler Sozialdemokrat…
WESTERWELLE: Das bestreite ich nicht. Weil die Agenda 2010 von ihren Grundaussagen her in die richtige Richtung ging, haben wir als FDP sie auch unterstützt. Aber Herr Steinmeier hat ja gerade selbst ein Buch geschrieben, und da hat er eben leider darauf verzichtet, seine SPD in Richtung der Schröderschen "Neuen Mitte" weiterzuentwickeln - stattdessen versucht er vielmehr, sich mit dem Stallgeruch der alten SPD zu umgeben. Das Problem von Herrn Steinmeier heißt nicht FDP, es heißt SPD. Ich sage nur: Ypsilanti. Ich sage nur: Der Versuch, gemeinsam mit der Linkspartei unseren angesehenen Bundespräsidenten aus dem Amt zu drängen. Ich sage nur: Rot-rote Pläne für jedes Bundesland, in dem Wahlen anstehen.
Frage: Sie haben sich für die Bundestagswahl 2009 auf eine Koalition mit der Union festgelegt. War das voreilig? Das derzeitige Chaos in der CDU, der parteiinterne Zank über den rechten Umgang mit der Finanz - und Wirtschaftskrise müsste eigentlich abschrecken, womöglich sogar nach Alternativen suchen lassen.
WESTERWELLE: Der mangelnde ordnungspolitische Kompass der Union macht mir in der Tat Sorgen. Ich bleibe dabei, dass die soziale Marktwirtschaft die beste Ordnung ist, die wir in Deutschland je hatten. Und ich bleibe dabei, dass Enteignungen in die Planwirtschaft gehören, aber nicht zur sozialen Marktwirtschaft passen. Ich sehe mit Sorge, dass sich Etliche in der Unionsführung ganz bequem in der sogenannten großen Koalition eingerichtet haben. Nur: Alternativen - so wie Sie suggerieren - sehe ich nicht. Unsere Übereinstimmungen mit der CDU/CSU sind immer noch am größten.
Frage: Ihre Duzfreundin Angela Merkel sei führungsschwach und lasse keine klare marktwirtschaftliche Strategie im Umgang mit der Krise erkennen, maulen hinter vorgehaltener Hand viele prominente Unionspolitiker. Teilen Sie diese Kritik?
WESTERWELLE: Sie repräsentiert uns im Ausland gut, aber im Inneren moderiert sie zu oft und führt zu selten. Dass der Union insgesamt der klare Kompass der sozialen Marktwirtschaft abhanden gekommen ist, dieser Kritik kann ich nur ausdrücklich zustimmen. Nehmen Sie doch allein den Gesundheitsfonds, diesen planwirtschaftlichen Murks. Der macht alles teurer, aber nichts wird besser.
Frage: Ist für Sie Angela Merkel eine klare marktwirtschaftlich orientierte Analytikerin?
WESTERWELLE: Sie ist eine klare machtpolitisch denkende Analytikerin.
Frage: Merkel hat auch schon das Wort "Enteignung" benutzt in diesen Tagen. Kann ein Liberaler daran auch nur eine Sekunde denken?
WESTERWELLE: Nein, denn das ist ein Tabubruch. Auch in der Krise braucht der Staat Grenzen für das, was er an Eingriffen erwägt. Schon die Möglichkeit der Enteignung verschreckt doch genau jene Investoren, die wir zur Stärkung der Konjunktur dringend brauchen.
Frage: Die demoskopischen Werte der FDP sind derzeit überragend. Die 18-Prozent-Partei, die man längst im Museum wähnte, ist plötzlich auferstanden. Woran liegt´s?
WESTERWELLE: An unserem klaren Kompass. An unserer hart erarbeiteten Glaubwürdigkeit. An unserem unzweideutigen Bekenntnis zur Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung der sozialen Marktwirtschaft. Und zuletzt natürlich auch an der Schwäche der Anderen.
Frage: Muss die Renaissance der Ziffer 18 nicht eher als Ausdruck der Unzufriedenheit in der Union über die eigene Führung gesehen werden?
WESTERWELLE: Dass dies auch ein Faktor ist, bestreite ich nicht, aber eben nur: auch ein Faktor. Bei den letzten Landtagswahlen in Hessen haben sich auch viele enttäuschte bürgerliche Sozialdemokraten und erfreulich viele frühere Nichtwähler für die FDP entschieden.
Frage: Die SPD spottet, Ihre neuen Anhänger seien nur ein paar Marktradikale, die sich aus der CDU zur FDP hingezogen fühlten.
WESTERWELLE: Die SPD sollte sich fragen, warum ein Wolfgang Clement an ihr verzweifelt, die Union sollte sich fragen, warum ein Friedrich Merz sich zurückzieht, und bei den Grünen gibt es reihenweise eher pragmatische Vertreter, die aufgegeben haben oder nun nicht für die Bundestagswahl aufgestellt wurden. Wir als FDP haben noch nie so viele neue Mitglieder begrüßen dürfen wie in den ersten Monaten dieses Jahres. Das sind Menschen aus der Mitte unserer Gesellschaft, die nicht mehr zusehen wollen, dass immer nur jene am meisten belastet werden, die den Karren ziehen. Es ist nun wirklich nicht radikal, wenn man der Ansicht ist, dass Leistung sich wieder lohnen muss und dass der, der arbeitet, mehr haben muss als der, der nicht arbeitet.
Frage: Können Sie sicher sein, dass diese unzufriedenen Bundesbürger tatsächlich FDP wählen? Sie könnten ja auch einfach zuhause bleiben.
WESTERWELLE: Wir werden sehr hart daran arbeiten, dass sie nicht daheim bleiben. Wer nicht wählt, sorgt nur dafür, dass jene etwas zu sagen bekommen, die er ganz bestimmt nicht als seine Volksvertreter haben möchte. Nichtwahl stärkt die Ränder. Ich will ein Deutschland, das aus der Mitte heraus regiert wird.
Frage: Ist eine Rot-Grün-Gelbe Koalition für Sie eine Alternative, wenn es im September zu Schwarz-Gelb nicht reicht? Diese "Ampelei" haben Sie als "Hampelei" bezeichnet. Weshalb?
WESTERWELLE: Weil ich darin eine Ablenkungsdiskussion sehe. Über das Inhaltliche haben wir ja schon gesprochen. Reden wir über Mehrheiten. Sollte es für Schwarz-Gelb nicht reichen, bedeutet dies automatisch, dass es für Rot-Rot-Grün reichen würde. Da glaube ich den Schwüren der SPD nicht: Sollte es eine solche Mehrheit geben, gäbe es bald auch eine linke Regierung. Genau das wollen wir verhindern. Wir haben nicht vor 20 Jahren die deutsche Einheit erstritten, um heute mit anzusehen, wie Sozialisten und Kommunisten wieder etwas zu sagen bekommen. Glauben Sie wirklich, dass Herr Wowereit, Frau Nahles oder Herr Gabriel eine rot-rot-grüne Mehrheit ungenutzt verstreichen lassen würden? Ich jedenfalls würde nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, dass Herr Steinmeier im Fall der Fälle seine Partei von einer solchen Versuchung abhalten könnte.
Frage: Sie müssten eigentlich unter allen Umständen in die Regierung zu kommen versuchen, egal in welcher Konstellation. Denn sonst ist Ihre beste Zeit an der Spitze der FDP womöglich schon vorbei?
WESTERWELLE: Netter Versuch. Wir wollen regieren - aber eben nicht um jeden Preis. Das haben wir 2005 im Bund bewiesen, als wir ja schon einmal das Angebot des Einstiegs in eine Ampel erhalten haben. Wir haben Wort gehalten, damals im Bund und 2008 in Hessen. Und was mich persönlich angeht: Machen Sie sich da mal keine Sorgen. Meine politische Zukunft hat ohne Zweifel etwas mit dem Wahlergebnis der FDP zu tun, aber sicher nichts mit dem Wahlergebnis anderer Parteien.
Frage: Die Volksparteien bröseln. Ist das eine Chance für die FDP, eine kleine Volkspartei zu werden? Halb so viel Stimmen wie die CDU bekommen Sie in Umfragen ja schon…
WESTERWELLE: Wir bleiben auf dem Teppich. Umfragezahlen sind keine Wahlergebnisse. Aber richtig ist: Wir erheben ganz ausdrücklich den Anspruch, dass liberale Politik die beste für die ganze Gesellschaft ist. Wir arbeiten nicht für eine Etage, sondern für alle Leistungsbereiten, für alle, die einsteigen wollen. Dazu gehört vor allem die breite Mitte. Dazu gehört jemand, der Arbeit sucht. Dazu gehören Rentnerinnen und Rentner, die ein Leben lang hart gearbeitet haben. Die anderen Parteien reden mir viel zu viel über Heuschrecken oder Hartz IV. Das sind wichtige Themen. Aber die anderen vergessen darüber das wichtigste: die Mitte unserer Gesellschaft. Dort, im Mittelstand, entstehen Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze, dort werden Patente erfunden und Steuergelder erwirtschaftet.
Frage: Weshalb hat die FDP eigentlich im Bundesrat das Konjunkturpaket II durchgewinkt, obwohl darin erhebliche marktwirtschaftliche Prinzipien missachtet werden? Jeder mittelständische Unternehmer dürfte darüber den Kopf geschüttelt haben.
WESTERWELLE: Weil es keine Chance zur Veränderung im Detail mehr gab, weil in dem Paket auch kluge Maßnahmen wie mehr Investitionen in Bildung und Verkehrsinfrastruktur enthalten sind, und weil der Bundesrat gleichzeitig auf Drängen der FDP beschlossen hat, dass weitere Entlastungen von Bürgern und Betrieben nötig sind.
Frage: Haben Sie sich damit zum Handlanger für Staatsinterventionisten gemacht?
WESTERWELLE: Gerade nicht.
Frage: Die FDP hofft, dafür in einer schwarz-gelben Koalition mit Steuererleichterungen belohnt zu werden. Glauben Sie im Ernst, dass solche Kürzungen bei den explodierenden Staatsschulden überhaupt noch finanzierbar sind?
WESTERWELLE: Ich sehe den Zusammenhang nicht, den Sie behaupten. Steuersenkungen gefährden den Staatshaushalt nicht, sie sanieren ihn. Nur durch ein gerechtes Steuersystem wird die Wirtschaft angekurbelt. Nur dadurch wird investiert und konsumiert, was wiederum Steuereinnahmen für den Staatshaushalt bringt.
Frage: Müsste die FDP nicht viel intensiver daran arbeiten, über ihren ständigen Ruf nach Steuerreform und Steuersenkungen hinaus zusätzliche Alleinstellungsmerkmale als Partei zu besetzen? Und welche?
WESTERWELLE: Ich sehe mindestens vier weitere Alleinstellungsmerkmale, wie Sie es nennen. Vielleicht überrascht es Sie, wenn ich hier sage: Der künftige Wohlstand Deutschlands entscheidet sich am Wettbewerb der Bildungssysteme noch mehr als am Wettbewerb der Steuersysteme. Deshalb ist eine Bildungspolitik, die für Durchlässigkeit und Aufstiegschancen sorgt, ein zentrales Anliegen der FDP. Wir wollen Chancengleichheit am Start, aber keine Gleichmacherei im Ergebnis. Damit unterscheiden wir uns grundsätzlich von Konservativen, die den Bildungsweg des Einzelnen quasi als vorbestimmt sehen, und von Linken, die auf die Parole Mittelmaß für alle setzen. Und nur die FDP steht für eine ideologiefreie Umwelt- und Energiepolitik, die ausdrücklich auf einen Mix der regenerativen und der fossilen Energien setzt, aber auch die Kernkraft nicht vor der Zeit ausschalten will. Der Kampf um die Bürgerrechte ist ein zentrales Anliegen der Liberalen, und eine Außenpolitik, die mit eigenen Abrüstungsinitiativen zu mehr Kooperati on beiträgt, ist ebenfalls ein Kernpunkt unserer Politik.
Frage: Gibt es eigentlich so etwas wie eine FDP-Sozialstaatspolitik? Im Parteiprogramm steht etwas von einem "liberalen Sozialstaat." Was muss man sich darunter vorstellen?
WESTERWELLE: Nur wir haben mit dem Bürgergeld ein Konzept vorgelegt, das alle Sozialleistungen und den kompletten Bereich der Besteuerung miteinander verzahnt und in ein schlüssiges Gesamtkonzept gießt. Wir wollen Sozialtransfers als Leistungsanreiz, nicht als Leistungsersatz. Aber selbstverständlich sagen wir ja zum Sozialstaat für Bedürftige. Wir sind Liberale, keine Anarchisten.
Frage: Ihr Parteifreund Philipp Rösler, Wirtschaftsminister in Niedersachsen und Mitglied des FDP-Präsidiums, klagt, die FDP habe "Angst, das Wort Solidarität in den Mund zu nehmen." Hat er recht?
WESTERWELLE: Philipp Rösler ist ein herausragender Repräsentant der FDP. Liberale Solidarität ist die Freiheit des Einzelnen zur Verantwortung für sich selbst und für seinen Nächsten. Ich nehme das Wort Solidarität nicht nur gern in den Mund, ich will vor allem einen effektiven Sozialstaat, der tatsächlich den Bedürftigen hilft - aber nicht den Faulen.
Frage: Noch ein Rösler-Zitat: Er sagt, das reine Beschwören eines ordoliberalen Kurses gehe an den Menschen vorbei. Zutreffend?
WESTERWELLE: Bürger unterstützen Parteien nicht, weil sie morgens aufstehen und sich Gedanken über das ideale Steuersystem machen, sei es Flat Tax, Stufentarif oder linear-progressiver Verlauf. Erfolgreiche Politik hat etwas mit Klarheit und mit Vertrauen zu tun. Wir Liberale sind klar und schaffen Vertrauen, weil jeder Bürger weiß, dass wir die Hüter der sozialen Marktwirtschaft sind.
Frage: Es mag für Sie persönlich ehrenvoll sein, wenn die FDP als reine Westerwelle-Partei bezeichnet wird. Aber die Monopolstellung ist nicht ungefährlich. Sehen Sie politisch potenten Nachwuchs in Ihrer Partei?
WESTERWELLE: Sie haben doch selbst gerade mehrfach Philipp Rösler zitiert. Nehmen Sie andere Jüngere wie Silvana Koch-Mehrin oder Daniel Bahr. Denken Sie an die Erfahrenen, an Persönlichkeiten wie Rainer Brüderle und Hermann Otto Solms. Meine eigene Generation mit meinen Stellvertretern Cornelia Pieper und Andreas Pinkwart, mit Birgit Homburger, Dirk Niebel oder Sabine Leutheusser-Schnarrenberger lasse ich jetzt einmal weg.
Frage: Und wie sieht es in den anderen Parteien aus? Wie steht es um den Führungsnachwuchs in der bundesdeutschen Politik?
WESTERWELLE: Nennen Sie mir bitte eine andere Partei, die solch eine breite Mischung der Generationen in ihrer Führung hat.
Frage: Ihr Vorgänger an Parteispitze und Fraktion, Wolfgang Gerhardt, klagt, die FDP schöpfe ihr Potenzial nicht aus: Viel Verstand und wenig Seelenwärme, kritisiert er. Hat er was gegen Sie oder hat er recht?
WESTERWELLE: Es gibt hier einen sehr ernsthaften und bedenkenswerten Punkt. Unsere Botschaft der Freiheit zur Verantwortung ist eine anspruchsvolle. Sie wärmt die Herzen vielleicht nicht so sehr, wie dies rote Fahnen oder konservative Schein-Gewissheiten tun. Ich sage gern, dass wir ein Politikverständnis vertreten, das mal von mir "Vorfahrt für Vernunft" genannt wurde.
Frage: Ihr Parteifreund Wolfgang Kubicki warnt, die FDP dürfe nicht zur Westerwelle-Partei werden. Auch diesmal die Frage: Hat er was gegen Sie? Oder hat er in der Sache recht?
WESTERWELLE: Wolfgang Kubicki ist der profilierte Oppositionsführer in Schleswig-Holstein und Teil unseres breiten Teams.
Frage: Kubicki warnt die FDP auch vor scharfer Polarisierung und Diffamierung der Linkspartei. Teilen Sie diese Position?
WESTERWELLE: Wenn Sie unser Wahlprogramm lesen werden, können Sie sehen, dass wir uns mit den anderen Parteien überhaupt nicht auseinandersetzen. Wir definieren in großer Eigenständigkeit unsere Ziele, weil sie das Beste für Deutschland bringen.
Frage: Sie haben einmal die FDP als "einsamen Leuchtturm der Freiheit" bezeichnet. Wie kann es dieser FDP passieren, dass der FDP-Innenminister von NRW ein Gesetz zur Online-Durchsuchung von Computern vorlegt, das vom BGH zerrissen wird - übrigens auf Klage des Altliberalen Gerhard Baum?
WESTERWELLE: Haben Sie etwas gegen das urdemokratische Prinzip der Checks and Balances? Das Bundesverfassungsgericht hat reihenweise Gesetze kassiert, die in der Schäuble-Schily-Tradition gemeinsam von Union, SPD und Grünen erlassen wurden. Zigmal waren unsere Klagen erfolgreich. Auf diese Tradition der Verteidigung von Bürgerrechten sind alle Liberalen sehr stolz.
Frage: Sie rufen nach strengeren Regelungen auf dem krisengeschüttelten Kapitalmarkt. Was genau fordern Sie? Wollen Sie nicht nur die Staatsbanken wie die KfW an die Kette legen, sondern auch die Privatbanken?
WESTERWELLE: Wir wollen eine einheitliche Bankenaufsicht bei der Bundesbank und waren stets gegen die Zweiteilung der Aufsicht, die Rot-Grün durchgesetzt hat. Wir haben erhebliche Zweifel an der Daseinsberechtigung und Organisationsstruktur der Landesbanken in ihrer bisherigen Form. Wir nehmen zur Kenntnis, dass es in Deutschland Staatsbanken waren, nicht Privatbanken, die zuerst und am schlimmsten in die Krise geraten sind. Und wir hätten im Herbst 2008 den Bankenrettungsschirm verpflichtend gemacht, wie London dies getan hat. Der Staat ist weder der bessere Banker noch der bessere Unternehmer. Ich halte wenig davon, von Branche zu Branche und von Betrieb zu Betrieb zu springen. Die Investition in eine mutige Steuerreform heute wäre sinnvoller als hernach die Subvention von immer höherer Arbeitslosigkeit.
Frage: Die FDP profitiert auch davon, dass sie nicht in der Handlungs-Verantwortung steht, sagt der Politik-Wissenschaftler Volker Kronenberg von der Uni Bonn. Zutreffend?
WESTERWELLE: Wir sind seit 1998 bundespolitisch in der Opposition. In dieser Zeit sind fünf Millionen Deutsche aus der Mittelschicht in die sogenannte armutsgefährdete Schicht nach unten durchgereicht worden. Zutreffend ist, dass ich mir wünschte, wir hätten dies als Regierungspartei verhindern können. Zutreffend ist, dass wir diese Ausdünnung der Mittelschicht als Regierungspartei verhindert hätten. Und zutreffend ist auch, dass wir vom Herbst an Verantwortung auch im Bund tragen wollen, wie wir es für zwei Drittel der Deutschen in den größten Bundesländern bereits tun.
Frage: Würden Sie erneut Ihr Wort wiederholen, dass Sie keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, der nicht ein "einfacheres, niedrigeres und gerechteres Steuersystem" bringt?
WESTERWELLE: Ja.
Frage: Sie würden Außenminister werden, wenn die FDP wieder an die Macht kommt. Stünden Sie dann voll und ganz auf der Linie von SPD-Außenminister Steinmeier?
WESTERWELLE: Ihre Kollegen vom "Stern" haben mich gefragt, ob ich mir dieses Amt zutraue, und ich habe geantwortet, dass ich nicht FDP-Vorsitzender hätte werden dürfen, wenn dem nicht so wäre. Nicht mehr, nicht weniger. Herrn Steinmeiers Bekenntnis zur Rüstungskontrolle erkenne ich an, nur vermisse ich konkrete Schritte während seiner Regierungsjahre. Bei der Frage einer NATO-Mitgliedschaft von Georgien und Ukraine hat die Regierung Merkel-Steinmeier einen merkwürdigen Zickzackkurs hingelegt. Aber richtig ist: Als staatstragende Partei sieht sich die FDP in der außenpolitischen Kontinuität der deutschen Politik. Mein außenpolitisches Vorbild ist weder Angela Merkel noch Frank-Walter Steinmeier, sondern Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher und Klaus Kinkel.
Frage: Und eine letzte Frage zum jüngsten Minister: Ist eigentlich der neue CSU-Bundeswirtschaftsminister zu Guttenberg ganz nach Ihrem Herzen geschnitzt? Er scheint liberaler als der Rest des Merkel-Kabinetts.
WESTERWELLE: Sie sagen es sehr hübsch: Er scheint. Hat er nicht nach wenigen Tagen am Kabinettstisch ein Enteignungsgesetz eingebracht? Ich wünsche ihm in unser aller Interesse viel Erfolg. Aber die Liberalität der CSU ist schon eine zweischneidige Sache. Da werden in Berlin 20 mal die Steuern erhöht und der Gesundheitsfonds durchgepeitscht - und in München stänkert dieselbe Partei gegen beides. Sollte die CSU jetzt tatsächlich den marktwirtschaftlichen Kompass wiederentdecken, so freut mich das, weil ich ganz genau weiß, was das Erweckungserlebnis der CSU war: die Koalition mit der FDP in Bayern. Die hat offenkundig richtig gutgetan.