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Interview
FDP- Partei- u. Fraktionschef Guido Westerwelle
FDP- Partei- u. Fraktionschef Guido Westerwelle

(04.05.2009)
Berlin. Der FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab dem "Spiegel" (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten PETRA BORNHÖFT und MICHAEL SAUGA:

Frage: Herr Westerwelle, nach den aktuellen Umfragen kann im Herbst eine schwarz-gelbe Koalition regieren, mit Ihnen als Außenminister. Was werden Sie anders machen?

WESTERWELLE: Nun mal langsam. Erst einmal müssen die Wahlen gewonnen werden. Dann werden wir Koalitionsverhandlungen führen, und wer dann welches Amt übernimmt, wird als letztes entschieden.

Frage: Wie bitte? In den vergangenen 40 Jahren hat der kleinere Koalitionspartner in allen Regierungen stets den Außenminister und Vizekanzler gestellt. Wollen Sie darauf etwa verzichten?

WESTERWELLE: Ihre Feststellung über die Vergangenheit ist zutreffend. Aber ich bin nicht so unbescheiden, in einem SPIEGEL-Gespräch das Wahlergebnis vorwegnehmen zu wollen.

Frage: Wenn es aber so kommt, würden Sie Nachfolger liberaler Staatsmänner wie Walter Scheel oder Hans-Dietrich Genscher. Sind Sie so ungewohnt zurückhaltend, weil Sie spüren, dass Ihnen deren Schuhe zu groß sein könnten?

WESTERWELLE: Die sind in der Tat sehr groß. Lassen Sie mich Ihre Frage deshalb so beantworten: Die FDP als Partei wäre sehr wohl in der Lage, in einer bürgerlichen Regierung Verantwortung für die Außenpolitik zu übernehmen.

Frage: Was würde dieser namenlose Außenminister der FDP dann wohl anders machen?

WESTERWELLE: Im Grundsatz würden wir die Außenpolitik der Regierung Merkel-Steinmeier fortsetzen. Ein Außenminister der FDP würde keinen abrupten Kurswechsel vollziehen. Aber wir würden einige Akzente anders setzen, insbesondere im Verhältnis zum neuen amerikanischen Präsidenten Barack Obama. Hier hat die Bundesregierung Chancen nicht genutzt.

Frage: Geht das gegen Angela Merkel, die Distanz zum neuen Mann im Weißen Haus erkennen lässt?

WESTERWELLE: Ich bedaure vor allem, dass die jetzige Regierung auf neue außenpolitische Positionen Amerikas wartet, anstatt auf den Prozess der Neubestimmung aktiv Einfluss zu nehmen. Als Präsident Obama kürzlich in Prag für eine nuklearwaffenfreie Welt plädierte, hätte die Bundesregierung diesen Vorschlag mit eigenen Initiativen unterstützen müssen. Es gibt jetzt ein Fenster der Gelegenheit in der Abrüstungspolitik. Es könnte sich bald schließen. Früher ist von deutschen Regierungen die Außenpolitik immer als Abrüstungs- und Friedenspolitik verstanden worden. Derzeit sind wir eher Beobachter dieser Entwicklung.

Frage: Wollen Sie das Steinmeier vorwerfen? Der hat die amerikanischen Vorschläge enthusiastisch begrüßt. Wer bremst, ist die Kanzlerin.

WESTERWELLE: Wenn eine Regierung etwas nicht zustande bringt, muss sich dies die ganze Regierung anrechnen lassen. Sie behaupten, Herr Steinmeier habe eine andere Auffassung. Gut, dann liegt das Problem offensichtlich darin, dass er sich nicht durchsetzen will oder kann.

Frage: Wenn sich schon Steinmeier nicht durchsetzt, wie sollte sich dann ein Außenminister der FDP durchsetzen können?

WESTERWELLE: Die FDP ist völlig unverdächtig, in der Außenpolitik nicht ausreichend durchsetzungsstark zu sein. Ein Außenminister Genscher hat in seiner Amtszeit mit viel weniger Sitzen im Parlament Abrüstungsinitiativen vorangetrieben, teilweise gegen den Willen seiner Koalitionspartner SPD oder Union. Dazu gehört Mut.

Frage: Sie haben vor allem die Debatte um den US-Raketenschirm kritisiert, mit dem die Vereinigten Staaten Osteuropa vor iranischen Atomangriffen schützen wollen. Was werfen Sie der Bundesregierung konkret vor?

WESTERWELLE: Die Bundesregierung hat die Debatte laufen lassen. Sie hätte viel früher Position beziehen und berechtigte Sorgen Europas und Russlands aufgreifen müssen. Jetzt droht eine Aufrüstungsspirale, die unsere Sicherheitsinteressen gefährdet.

Frage: Der außenpolitische Unions-Sprecher Eckart von Klaeden hält Ihre Warnung für eine "russische Schutzbehauptung". Schmerzt Sie das?

WESTERWELLE: Ach was. Es zeigt doch nur, dass es in Deutschland immer noch ein paar Anhänger der neokonservativen Politik des ehemaligen US-Präsidenten Bush gibt. Und die sitzen in der Unionsfraktion. Ich war kürzlich in Moskau und habe dort Gespräche mit Außenminister Lawrow und Vize-Premier Iwanow geführt. Dabei habe ich den Eindruck gewonnen, dass Moskau, vielleicht auch wegen des desolaten Zustands der eigenen Streitkräfte, ein besonderes Interesse an konventioneller Abrüstung hat. Das ist doch eine Chance!

Frage: Obama will an dem Raketenschild festhalten, solange Iran sein Atomprogramm nicht aufgibt.

WESTERWELLE: Natürlich darf das Regime in Teheran niemals in die Lage kommen, Atomwaffen zu besitzen. Aber nehmen wir doch erst einmal Obama und Medwedew beim Wort. Weder der Präsident in Washington noch der in Moskau ist durch den Kalten Krieg geprägt. Es wäre großartig, wenn in der Weltpolitik endlich wieder konkret über Abrüstung - und zwar die atomare wie auch die konventionelle - gesprochen würde, wo man doch seit dem 11. September 2001 nur noch über Aufrüstung redet. Sollte die FDP Regierungsverantwortung übernehmen, werden wir in der Nato darauf drängen, dass die letzten atomaren Sprengköpfe aus der Bundesrepublik abgezogen werden.

Frage: In der Union befürchten viele eine Rückkehr Moskaus zur früheren Großmachtpolitik. Sie machen sich da gar keine Sorgen?

WESTERWELLE: Die Idee mancher Konservativer, Russland sei unser strategischer Gegner, ist grundfalsch. Ich kenne die rechtsstaatlichen Defizite dort. Russland hat aber großes Interesse an einer Partnerschaft mit Deutschland und Europa.

Frage: Das war während des Streits um die Gaslieferungen in den Westen nicht zu erkennen.

WESTERWELLE: Ich habe das kritisch angesprochen in Moskau. Es wäre naiv zu glauben, dass Russland seine Position als starker Energielieferant niemals ausspielen würde. Auch deswegen sind wir ja für mehr Unabhängigkeit durch einen Energiemix bei uns. Aber Russland hat auch ein massives Interesse daran, mit dem Verkauf seiner Energievorräte Devisen zu bekommen.

Frage: Ihr Werben für Frieden und Abrüstung klingt bestimmt gut in den Ohren vieler Wähler. Aber auch ein bisschen träumerisch angesichts der wachsenden Zahl militärischer Konflikte in der Welt.

WESTERWELLE: Militärische Mittel müssen immer das allerletzte Mittel sein. Außenpolitik wird nicht dadurch stärker, dass die Truppen größer werden.

Frage: Genau darauf aber scheint Obama in Afghanistan zu setzen, er will mehr Soldaten schicken. Vorige Woche starb dort wieder ein deutscher Soldat, insgesamt sind es jetzt 32. Die FDP-Fraktion hat den Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch mal befürwortet, mal abgelehnt. Und nun?

WESTERWELLE: Den Afghanistan-Einsatz unterstützt die FDP. Weil Gerhard Schröder ihn 2001 mit der Vertrauensfrage verbunden hat, konnten wir beispielsweise damals nicht mit Ja stimmen.

Frage: Das hat Ihnen die Möglichkeit eröffnet, sich - ganz populistisch - von dem Einsatz abzugrenzen.

WESTERWELLE: Das ist falsch. Wir haben immer gesagt: Der Afghanistan-Einsatz ist schwer, verantwortungsvoll und gefährlich. Aber trotzdem notwendig, aus unserem ureigensten Sicherheitsinteresse. Wir haben auch zugestimmt, als zuletzt das Mandat verlängert wurde.

Frage: Und hat der Einsatz bisher unserem ureigensten Sicherheitsinteresse gedient?

WESTERWELLE: Die Terroristen haben kein staatlich geschütztes Rückzugsgebiet mehr. Bei meinem Besuch im Jahr 2007 hat mir der afghanische Außenminister gesagt: Wenn ihr jetzt geht, wird Kabul wieder zur Terroristen-Hauptstadt der Welt. Darüber hinaus hat der Einsatz den Menschen dort neue Schulen, Straßen und eine bessere medizinische Versorgung gebracht. Es war allerdings von Anfang an illusionär zu glauben, man könne in Afghanistan eine Demokratie nach westlichem Muster aufbauen.

Frage: Sollen die internationalen Truppen jetzt abziehen - bevor auch nur der Schutz der Menschenrechte gesichert ist?

WESTERWELLE: Ein Ziel des Einsatzes besteht darin, ihn so schnell wie möglich zu beenden. Deshalb ist es völlig inakzeptabel, dass die Bundesregierung den Polizeiaufbau nicht ernst genug nimmt. Weniger als die Hälfte der zugesagten Ausbildungskräfte hat Deutschland bisher bereitgestellt. Damit ist die Bundesregierung ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden. Das werden wir ändern.

Frage: Der Konflikt weitet sich auf Pakistan aus, dessen Regierung auch von den Deutschen massive Entwicklungs- und Militärhilfe fordert. Werden Sie die Wünsche erfüllen?

WESTERWELLE: Wir haben Interesse an einem stabilen Pakistan. Dafür muss Pakistan aber auch etwas tun.

Frage: Geht es etwas konkreter?

WESTERWELLE: Ich habe in den vergangenen Monaten erlebt, dass es dem Oppositionspolitiker nicht mehr gestattet ist, zu plaudern. Viele Gesprächspartner kalkulieren ein, dass die FDP nach dem Herbst mitregiert. Deshalb wäge ich meine Worte sehr genau. Das ist mir lieber, als später meine Worte fressen zu müssen.

Frage: Die offene Kritik an autoritären Staaten wie Russland oder China hat in der Großen Koalition häufig Streit ausgelöst. Würden Sie den Dalai Lama im Auswärtigen Amt empfangen?

WESTERWELLE: Klaus Kinkel hat als erster deutscher Außenminister den Dalai Lama empfangen. Ich selbst habe ihn oft getroffen, was meinen Gesprächen in Peking nicht geschadet hat. Ein künftiger FDP-Außenminister würde ihn ebenfalls empfangen.

Frage: Es geht um die Frage, wie konsequent die deutsche Außenpolitik für Menschenrechte eintritt. Würden Sie missliebigen Regimen den Geldhahn abdrehen?

WESTERWELLE: Wir werden überall auf der Welt für Menschen- und Minderheitenrechte eintreten. Ich finde es deshalb völlig abwegig, dass wir an Regierungen deutsche Steuergelder überweisen, die zum Beispiel nichts oder fast nichts gegen die barbarische Praxis der Genitalverstümmelung von Frauen tun. Jenseits von humanitärer Hilfe und technischer Unterstützung beim Bau von Schulen oder Krankenhäusern in solchen Ländern darf kein Cent in deren Regierungskasse fließen.

Frage: Ist ein Außenminister, der Menschenrechtsverletzungen nur mit Drohungen und Sanktionen beantwortet, nicht sehr schnell am Ende seines Lateins?

WESTERWELLE: Das glaube ich nicht. Heinrich Böll formulierte den wunderbaren Satz: "Es gibt eine Pflicht zur Einmischung in die innere Angelegenheit der Menschenrechte." Das gilt auch in der Entwicklungszusammenarbeit mit Partnerländern. Deren Regierungen müssen wissen, dass Deutschland keine Blankoschecks ausstellt.

Frage: Solch leidenschaftliche Parteinahme in der Außenpolitik haben wir selten von Ihnen gehört. Was den Nahost-Konflikt betrifft, wirkten Sie eher kleinlaut. Die FDP war neben der Linken die einzige Partei, die den Libanon-Einsatz abgelehnt hat.

WESTERWELLE: Da verwechseln Sie Lautstärke mit Haltung. Deutschland kann wegen seiner Vergangenheit keine neutrale Position im Nahen Osten einnehmen. Deshalb hat die FDP im Fall der deutschen Beteiligung am Marine-Einsatz mit Nein gestimmt. Die Bundesregierung hat hier mit der Tradition aller Vorgänger gebrochen.

Frage: Hat Ihre Zurückhaltung auch etwas mit jenem Trauma zu tun, das die antisemitischen Ausflüge Ihres verstorbenen Parteifreunds Jürgen Möllemann 2002 in der FDP ausgelöst haben?

WESTERWELLE: Das hat damit überhaupt nichts zu tun. Mir können Sie das unterstellen, ich war damals ein Politiker, der in seinem ersten Jahr als Parteivorsitzender auch manches falsch gemacht hat. Aber so erfahrenen liberalen Staatsmännern wie Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher und Otto Graf Lambsdorff, die ja auch gegen die deutsche Beteiligung an der Marine-Mission waren, können Sie nichts Vergleichbares unterstellen.

Frage: Auch erfahrene Politiker können irren. Warum verstecken Sie sich hinter den drei Herren?

WESTERWELLE: Ich war schon als junger Mann in Israel. Damals habe ich auch die Golanhöhen besucht. Wer einmal dort gestanden hat, versteht sofort, wie schmal und verletzlich dieses kleine Israel ist. Gerade deshalb halte ich es für geboten, dass die Europäische Union jetzt eine Intiative für eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Nahen Osten startet.

Frage: Das klingt utopisch, nicht nur wegen der Lage im Nahen Osten, sondern auch, weil die Europäer so zerstritten sind. Wieso sollte sich daran etwas ändern?

WESTERWELLE: Wir können als Europäer niemanden zum Frieden zwingen oder so tun, als wüssten wir für alle Regionen der Welt alles besser. Aber Europa kann Vorbild sein, weil es für Kooperation steht. Europa ist die große Antwort des Friedens auf eine lange Geschichte des Krieges. Deshalb kann Europa der Welt zum Vorbild werden, deshalb bin ich begeisterter Anhänger der Europäischen Union.

Frage: Bevor Sie abheben, dürfen wir daran erinnern, dass die Europäische Integration nicht vorankommt. Braucht Europa einen Neustart, etwa mit einer Kerngruppe rund um Deutschland?

WESTERWELLE: Ich hoffe, dass das nicht nötig sein wird, sondern Tschechien und Irland dem Lissabon-Vertrag zustimmen. Grundsätzlich glaube ich, dass es die Aufgabe meiner Generation ist, ein ähnlich tiefes, gesellschaftliches Freundschaftsverhältnis zu unseren östlichen Nachbarn zu schaffen, wie es mit Frankreich selbstverständlich geworden ist. Wir müssen fortsetzen, was mit Willy Brandts Kniefall in Warschau begonnen hat. Da ist noch unglaublich viel zu tun.

Frage: Zum Beispiel an Überzeugungsarbeit bei Ihrem gewünschten Koalitionspartner. Die Union will die Erweiterung der EU nach dem möglichen Beitritt Kroatiens stoppen und die Türkei dauerhaft draußen halten. Sind Sie einverstanden?

WESTERWELLE: Die Türkei ist derzeit nicht beitrittsfähig und die EU ist nicht aufnahmefähig. Aber selbstverständlich erwarte ich auch von einer Regierung mit der Union, dass geschlossene Verträge eingehalten werden. Mit der Türkei ist vereinbart, dass ein Beitritt ergebnisoffen geprüft wird. Dieser Prozess wird sich noch über Jahre hinziehen. Die Türkei strengt sich an, rechtsstaatliche und ökonomische Kriterien zu erfüllen, sich am Westen und nicht am Fundamentalismus zu orientieren. Bei allen Rückschlägen können wir sie dabei nur bestärken.

Frage: Die CSU würde den Prozess am liebsten sofort abbrechen.

WESTERWELLE: Das wäre das Ende einer klugen Außenpolitik. Es kann sein, dass am Ende kein Beitritt steht, sondern eine privilegierte Partnerschaft. Auch erwartet die Türkei kein Datum für eine Mitgliedschaft. Sie erwartet allerdings zu Recht, dass Europa heute dem Beitrittswunsch keine prinzipielle Absage erteilt.

Frage: Jetzt haben Sie erneut ein Beispiel dafür genannt, dass Sie in der Außenpolitik der SPD näher stehen als der Union. Wäre es nicht leichter, mit den Sozialdemokraten zu regieren?

WESTERWELLE: Ich sehe keine Grundlage für ein Bündnis mit SPD und Grünen. Die SPD hat ein Wahlprogramm verabschiedet, das sich nur in zwei Punkten von der Linkspartei unterscheidet: Lafontaine und Auslandseinsätze. Die grüne Basis lehnt kategorisch jede Regierungsbeteiligung mit der FDP ab. Die Ampel können Sie also vergessen. Entweder gibt es eine bürgerliche Mehrheit oder eine linke Regierung, vielleicht noch mit der Übergangsphase einer Großen Koalition von eineinhalb Jahren.

Frage: Derzeit leiten Sie eine Parteizentrale mit 26 Mitarbeitern und eine Fraktion mit 61 Abgeordneten. Sollten Sie im Herbst ins Auswärtige Amt einziehen, müssten Sie eine Behörde mit rund 6600 Mitarbeitern führen. Kann man von null auf hundert hochdrehen?

WESTERWELLE: Manchmal muss ein Politiker das. Falls Sie versprechen, es mir nicht als Vergleich anzukleben: Barack Obama zeigt gerade, dass es geht