Mehrheit schließt Regelschulen in Wildetaube und Irchwitz
Ronneburg, 1. März 2005. Kreistagsmitglied Dr. Gündel (SPD) traf wohl die Überlegungen vieler, als er mutmaßte, den Kreistag habe man absichtlich weit weg von Wildetaube und Greiz einberufen. Genutzt hat es nichts, zwei Busse voll mit Schülern, Lehrern, Eltern aus beiden Schulen waren angereist. Auch Wildetaubes Bürgermeister Helmut Schaffer war mit Gattin und Gemeinderäten zugegen.
Gleich zu Beginn hatte Jens Geißler (FDP-IWA) den Antrag gestellt, die Tagesordnungpunkte der Regelschulstandorte vorzuziehen, damit die angereisten Kinder wieder nach Hause können. Abgelehnt. Mit dem positiven Nebeneffekt, dass eine breite Öffentlichkeit staunend die Arbeit des Kreistags zur Kenntnis nehmen konnte. Und zwar wesentlich umfassender, als das aus der Lektüre der Lokalpresse hervorgeht.
FDP-IWA- Fraktionsvize Geißler fragte beispielsweise hinsichtlich der Buga- Kredite, wieso selbst die Sparkasse in voller Höhe Bürgschaften wolle und wo denn der Kreditgeber das Risiko sehe. Das sei doch Grund genug, den Chef vor dem Kreistag zu hören. Sprach"s und stellte den Antrag zur Vertagung des Tagesordnungspunkts. Mehrheitlich abgelehnt.
Folgerichtig beantragte Jens Geißler, den Antrag der Verwaltung mit dem Vorbehalt zu versehen, dass die Bürgschaft nur dann zum Tragen kommt, wenn auch die anderen Partner ihrer Verpflichtung zur Bürgschaft nachkommen. Abgelehnt. Warum eigentlich?
Nach etlichen weiteren Beschlussvorlagen wurde dann der Tagesordnungspunkt "Regelschule Wildetaube" aufgerufen. Der Vorsitzende des Schulausschusses, Hansjörg Fischbach (CDU) begründete ausführlich den mehrheitlichen Standpunkt, warum die Regelschule Wildetaube geschlossen werden müsse. Dr. Gündel (SPD) grenzte sich deutlich vom Ausschussvorsitzenden ab, der wiederum konterte, dass Gündel die letzten beiden Mal nicht da gewesen sei. FDP-IWA- Fraktionschef Dirk Bergner beantragte Rederecht für Matthias Lindig in dessen Eigenschaft als Vorsitzender der VG Leubatal und Mitglied des Schulfördervereins. Einstimmig zugestimmt. Lindig (FDP) hielt ein engagiertes Plädoyer für den Erhalt des Regelschulstandorts. Neben den Vorzügen der Schule machte er auch auf eines aufmerksam: "Die VG Leubatal befindet sich an der Nahtstelle der drei Altkreise. Und das Zusammenwachsen der Gemeinden in der VG ist zugleich ein Zusammenwachsen des Landkreises." Für die Kinder, die die Regelschule besuchten, gäbe es keine Probleme mit einer Einheitsgemeinde. "Die gehen zusammen in die Schule.", so der VG- Chef weiter. Man dürfe sich nicht über das mangelnde Zusammenwachsen Deutschlands wundern, wenn man selbst auf Kreisebene anstrebe, "dass der Kreis wieder in die alten Teile auseinanderfällt."
Bergner warb zunächst für einen sachlichen Umgang miteinander. "Es gibt vernünftige Argumente auf beiden Seiten." Und man müsse so miteinander umgehen, dass man "das auch danach noch kann.". Dann stellte der Liberale seinen Standpunkt dar: Er sehe als Planer auch die städtebaulichen Aspekte und vertrete die Ansicht, dass die Entscheidungen nicht nur auf Grund von nackten Schülerzahlen getroffen werden dürften. "Eine Schule ist gerade im ländlichen Raum auch ein kultureller Mittelpunkt." Er erinnerte an den leidenschaftlichen Auftritt des Musiklehrers Held, der darauf hinwies, was für Zeiten die Schule schon erlebt habe. "Und wir in zweifelsohne besseren Zeiten wollen sie schließen?", wiederholte Bergner den Appell des Lehrers. "Schauen Sie in die Augen der Kinder, die hier um ihre Schule bangen.", sagte der FDP- Mann. "Ich vertrete auch die Auffassung, dass wir nicht nur nach nackten Bedarfszahlen zu agieren haben, sondern auch einen Wählerauftrag zu erfüllen haben. Und genau deshalb halte ich den Antrag der PDS für zustimmungsfähig, dem der Verwaltung werde ich nicht zustimmen." Sehr genau beobachteten die Zuschauer, wie konstant durch die Kreistagsmehrheit zahlreiche SPD- und PDS- Anträge abgelehnt wurden. Umstritten ist, ob Diana Skibbe und Gina Eisner (beide PDS) korrekt gehandelt haben, als sie sich bei der Beschlussfassung zu Wildetaube als befangen bezeichneten. Die Thüringer Kommunalordnung spricht von Befangenheit, wenn der jeweilige Abgeordnete oder ein naher Verwandter einen persönlichen Vorteil hat. Das ist eigentlich nicht der Fall. Fakt ist, dass genau zwei Stimmen fehlten, um die Beschlussvorlage zur Schließung der Regelschule Wildetaube zum Kippen zu bringen.
Als die Regelschule Irchwitz aufgerufen wurde, wiederholte sich das Spiel. Dr. Gündel sagte, dass ihm noch niemand schlüssig die schlechtere pädagogische Qualität kleinerer Schulen belegt habe. Dirk Bergner trat ans Mikrofon und sagte sichtlich bewegt: "Verlieren gehört zum demokratischen Geschäft. Ich gebe aber ehrlich zu, dass es mir lange nicht so schwer gefallen ist, wie jetzt mit dem Blick in die Augen der enttäuschten Kinder." Er appellierte an die Abgeordneten, sich genau zu überlegen, ob sie noch eine Schule schließen wollten. In Anspielung darauf, dass zuvor CDU und Pro Kommune den PDS- Antrag auf namentliche Abstimmung mit ihrer Mehrheit abgelehnt hatten, forderte der Vorsitzende der kleinsten Kreistagsfraktion. "Und wenn wieder namentliche Abstimmung beantragt wird, stehen Sie wenigstens mit Ihrem Namen zu Ihrer Entscheidung!"
Als der neuerliche Antrag auf namentliche Abstimmung wiederum mit den Stimmen von CDU und Pro Kommune abgelehnt wurde, ergaben sich in den Zuschauerreihen tumultartige Szenen. Dabei kam Kreistagspräsident Helmert in die Verlegenheit, "als Tiger zu springen und als Bettvorleger zu landen", wie Anwesende witzelten. Er hatte nämlich die Sitzung unterbrochen und die Räumung des Saals verfügt. Ohne Erfolg, weil sich die erbosten Bürger nicht fügten. Und so holte er sich dann vage die Zustimmung der Zuschauer ein, "diszipliniert die Abstimmung zu verfolgen". Diese Disziplin hielt sich freilich in Grenzen, als auch in Irchwitz die Mehrheit von CDU und Pro Kommune die Schließung verfügte. Den besonderen Ärger der Irchwitzer musste der Greizer CDU- Chef Frantz über sich ergehen lassen, der nach deren Auffassung im Vorfeld versprochen habe, sich für Irchwitz einzusetzen. "Und itze haste Angst vor deinen Fraktionskollegen!", war noch das Mildeste, was sich der Obergrochlitzer Klempnermeister anhören musste, der auf der letzten Bank vor den Besuchern saß.
red.